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Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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einem geritten. Stellen Sie sich bloß mal vor. Ich habe auf ihren Holzpferdchen gesessen, und dann musste ich sie über einem Baum ausleeren, ein ganzer Baum, nur für sie. Und der Baum ist jetzt der, nach dem Sie gefragt haben. Gucken Sie doch bloß, wie er wächst.«
    Cornelius ließ das geliehene Gesicht von sich heruntergleiten.
Er konnte das Bild eines Gebietsinspektors nicht länger aufrechterhalten, nun, da ihm die Tränen in die Augen stiegen. Der Bauernjunge mit seinem schlichten Gemüt sah ihm dabei zu, als ob er jeden Tag erlebte, wie ein Gesicht zerschmolz und zu einem anderen wurde. Cornelius grub den Setzling mit kundigen Bewegungen aus, schüttelte die Erde ab und zog den jungen Baum vorsichtig aus dem Boden, ohne ihn zu schädigen.
    »Sie kennen sich mit dem Anpflanzen und Anbauen nach alter Art aus?«, fragte der Junge.
    »Ich war einmal ein Bauer«, erklärte Cornelius, der die Pflanze in den Armen hielt. »Vor langer Zeit.«
    »Dann sollten Sie hierbleiben«, sagte der Junge, als böte er Cornelius die Krone des Sonnengottes an. »Das hier ist ein Bauernhof.«
    Cornelius erhob sich und berührte sanft den Arm des Jungen. »Danke, aber das kann ich nicht – ich bin jetzt kein Bauer mehr.«
    »Letztes Jahr waren noch mehr Leute hier«, berichtete der Junge. »Mehr Leute, die mit den Bäumen und den Rüben und dem Korn und der Gerste geholfen haben. Das weiß ich noch – obwohl die Leute immer sagen, dass ich mich irre und dass es außer mir nie jemand anderen gab, der hier gearbeitet hat. Hier lebte auch der alte Bauer Adoulonge, obwohl die Leute behaupten, dass es nie einen Mann gegeben hat, der so hieß. Was machen Sie jetzt, Landsmann?«
    »Hast du mein Gesicht nicht gesehen, mache ich dir
keine Angst? Ich bin ein Ungeheuer. Aber jetzt werde ich den anderen Ungeheuern auflauern. Wie nennst du so eine Kreatur, Junge, ein Ungeheuer, das andere Ungeheuer frisst?«
    »Feueratem-Nick.« Der Junge lächelte. »Der Sonnenverzehrer, die Hand der Nacht. Die Lichterpriester werden Ihnen Geschichten über den Sonnenverzehrer erzählen, aber ich habe schon lange keine mehr im Dorf gesehen.«
    Der arme junge Narr. Er wusste von den stinkenden Säcken, aber er hatte zwischen ihnen und der schwindenden Bevölkerung seines Dorfes noch keinen Zusammenhang entdeckt. Der menschliche Verstand war ein unglaublich komplexes Werkzeug. Cornelius fühlte, wie sein eigener sich zu verabschieden drohte, noch während er sprach, wie der schwindende Punkt der Vernunft am Ende eines unendlich langen Korridors allmählich verblasste.
    »Die Priester sind gegangen«, sagte Cornelius, »zusammen mit deinen anderen Freunden.« Er hob den kostbaren Setzling auf und wickelte ihn schützend in seinen Mantel. Der Junge starrte mit leerem Blick über die leeren Felder und merkte nicht, dass sein Besucher stolpernd nach Westen ging. Weg von dem Bauerngehöft. Weg von Quatérshift.
    »Ich mag die Arbeit hier«, sagte der Junge zu sich selbst. »Besser als die dreckige Schufterei an einem Webstuhl, wo ich einen Finger nach dem anderen verliere.«

    Cornelius heulte wie ein sterbender Fuchs und blickte zum Himmel empor, als er über den unfruchtbaren Boden eilte, auf den die Sommersonne herunterbrannte. Er wollte nur noch zum Himmel aufsehen, der so klar und rein und unverdorben war. Von der Sonne erfüllt. Die darauf wartete, verschlungen zu werden. Sieh nicht auf die Erde, sieh nicht zu den gemahlenen Knochen, die zwischen den Furchen liegen. Weiße, kantige Knochensplitter. Er hob den Setzling, den er ausgegraben hatte, hoch über seinen Kopf, den jungen Stamm, den der Dünger, den man aus dem Fleisch seiner ermordeten Frau gemacht hatte, feucht und gesund gehalten hatte. Sein Baum, sein geliebter Baum. Sie würde wieder wachsen, aber nicht in der verdorbenen Erde von Quatérshift.
    Er schüttelte den jungen Baum gen Himmel. »Das ist mein Weib, das ist das Kind, das sie in sich trug.«
    Ein Schatten erwuchs am Himmel, düster, aufgebläht, in der Sonne geboren und sich von ihrer Wärme nährend. »Sie wird wieder leben. Auch dein ungeborenes Kind. Sie werden in der Qual jener wiederauferstehen, die sie ermordeten.«
    »Ich werde dir Blut schenken!«, schrie er. »Ist es das, was du willst? Es gibt ein Meer von Blut in jenen Schweinen, die das taten – eine verdammte Revolution voller Blut!«
    Siehe den Himmel.
    »Ja.«
    Siehe die Sonne.
    »Ich werde dir mein Gesicht enthüllen.«

    Sonne.
    »Mein wahres

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