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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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ich wohl an Ihnen finden sollen? Sie haben mich benutzt. Und, schlimmer noch, ich ließ mich benutzen!«
    »Ich bin nicht stolz auf das, was wir getan haben. Aber – ach, Sie waren wundervoll! Und mit einer Klinge in der Hand waren Sie stets am betörendsten!«
    »Sie sind krank. Und Sie werden von Stunde zu Stunde kränker. Sehen Sie nur, was Sie jetzt wieder getan haben: Sie haben den Körper dieses armen Mädchens geraubt!«
    Dedlock setzte mit Schwung zu seiner eigenen Verteidigung an. »Dieses Mädchen sollte uns dankbar sein! Wir haben sie schön gemacht! Sie war nichts als eine kleine Hilfskraft in der Registratur, bevor sie in den Einflussbereich des Direktoriums kam!«
    »Da war sie aber glücklich!«, schrie Barbara; sie hielt inne. »Ich war glücklich«, sagte sie dann.
    »Das können Sie unmöglich gewesen sein!«
    »Wissen Sie eigentlich, was dieser Mann mir angetan hat? Die Veränderungen, die er mit seiner verfluchten Pille hervorgerufen hat?«
    »Mister Jasper hatte nicht den Wunsch, mich mit Einzelheiten zu behelligen.«
    »Ganz klar, dass er diesen Wunsch nicht hatte! Also erlauben Sie, dass ich Sie aufkläre. Ich schwitze nicht mehr. Ich brauche nur dreimal pro Stunde Atem zu holen. Ich habe mir alle Mühe gegeben, aber ich kann nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr scheißen. Und ich wurde kastriert. Was zwischen meinen Beinen war, ist verschmolzen.«
    »Wie ein Engel«, murmelte der alte Mann.
    »Wie ein Monster! Das Zerrbild einer Frau!«
    »Wir brauchen Sie«, sagte Dedlock mit ruhiger Stimme. »Die Stadt braucht Sie!«
    Barbara schüttelte mitleidig den Kopf. »O weh, Schätzchen, ist es Ihnen denn immer noch nicht klar geworden? Die Stadt ist verloren!«
    Sie hob die Axt, die sie in den Händen hielt, mit ausgestreckten Armen hoch und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die gläserne Wand von Dedlocks Tank.
    Zuerst winselte der Alte.
    Dann quollen ihm dicke Kaulquappentränen aus den Augen und schoben sich seine Wangen hinab wie Gelee.
    Und schließlich bettelte er.
    Aber weder entschuldigte er sich, noch zeigte er auch nur ein Fünkchen Reue für seine Taten, und so fuhr Barbara fort mit ihrem Zerstörungswerk. Jener Teil von ihr, der Estella war, hatte seit Jahren von diesem Augenblick geträumt, hatte Jahrzehnte in jenem Kellergeschoss verbracht und sich die wohlverdiente Strafe für diesen Mann ersonnen und ausgemalt. Und so hieb sie ungeachtet seines Flehens einfach drauflos, immer wieder und immer fester, und sie verstärkte ihre Anstrengungen, je mehr der Alte jammerte und um sich schlug und sich wand. Schrammen zeigten sich auf dem Glas, wurden zu Haarrissen und Sprüngen und weiteten sich zu Bruchstellen, bis sich der Inhalt des Tanks in einem gewaltigen Schwall auf den Boden ergoss. Ein letzter Hieb zerschmetterte die Reste des Glasbehälters und ließ auch das letzte bisschen Flüssigkeit auslaufen. Zusammen mit dieser Flüssigkeit wurde auch London mit seinen geschwärzten Straßen auf den Boden der Gondel gespült und zerfloss in alle Richtungen.
    Barbara sah ungerührt zu, wie Dedlock sich herumwarf und hilflos zappelte wie ein gestrandeter Karpfen, wie er nach Luft schnappte und pfeifend keuchte, während die Kiemen an seinen Seiten in kläglicher Nutzlosigkeit zitterten. Er sah beschwörend zu Barbara hoch, aber aus ihren Augen sprach keine Gnade.
    »Das ist es, was sie geplant haben«, sagte sie. »So wollten die Dominomänner Sie sterben sehen.«
    »Würden Sie …« Der arme Dedlock rang nach Luft – ertrank auf dem Trockenen. »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass es mir leidtut?«
    Barbara beugte sich über seinen zuckenden Körper und zeigte zum ersten Mal seit ihrer Vergiftung durch Mister Jasper ein Fünkchen Mitleid. Sie strich ihm übers Haar und küsste ihn keusch auf die Wange.
    »Zu spät«, sagte sie, ließ sich im Schneidersitz neben Dedlock auf dem Boden der Gondel nieder, starrte aus dem Fenster dem Schneesturm entgegen, der sich zusammenbraute, und bereitete sich auf das Ende der Welt vor.
     
    Was auch immer es war – Schnee war es jedenfalls nicht. Es sah natürlich so aus; es gab flüchtige Ähnlichkeiten, und für einen Augenblick – wenn man etwa durchs Fenster hinaus ins Freie schaute – konnte man sich davon täuschen lassen. Doch sobald man den Schnee berührte, sobald man ihn auf der Handfläche einfing und ihn auf der Haut spürte – da konnte man sich nichts mehr vormachen.
    Er legte sich dick und kompakt auf den

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