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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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allein besuchen? Warum brauchen Sie mich dazu?«
    »Ich habe es versucht. Aber selbst so völlig außer Gefecht gesetzt, bleibt Ihr Großvater eine latente tödliche Gefahr. Er hat irgendeine Art psychische Barriere aufgebaut. Niemand kommt an ihn heran, wenn er es nicht will.«
    Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Wie bitte?«
    »Das Direktorium glaubt an Magie, Henry. Das hat es immer schon getan.« Jasper schob sein kaum angerührtes Sandwich von sich; pedantischer Abscheu umspielte seinen Mund. »Dieser Teller ist schmutzig«, stellte er fest. Er blickte um sich und sah aus, als könne er nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken. »Die ganze Bude ist verdreckt. Total verseucht.«
    Eine Schwester trat an unseren Tisch, um uns zu informieren, dass wir den Patienten jetzt besuchen könnten. Mit unverhohlener Neugier schritt Jasper in das Zimmer und hinüber zu der nunmehr bäuchlings daliegenden Gestalt des Vaters meines Vaters.
    Der alte Mann hatte die Augen geschlossen. Schläuche drangen ihm aus der bleichen Nase und dem bleichen Mund, und er erschien mir noch geschwächter als zuvor. Ich selbst konnte keinen Puls feststellen und hatte nur das Wort der Apparaturen ringsum, dass er überhaupt noch am Leben war. Ohne mit ihm – begreiflicherweise – ein Wort zu wechseln, hatte ich Großvater in der letzten Woche öfter gesehen als in all den vergangenen Jahren.
    Jasper zog etwas hervor, das aussah wie eine komplizierte Stimmgabel, und richtete sie auf den Körper des alten Lumpensacks. Sie piepste einmal, zweimal, dreimal und entschied sich dann für einen zirpenden Dauerton.
    Ich starrte ihn ungehalten an. »Was tun Sie da?«
    All seine Konzentration auf diese obskure Aufgabe gerichtet, blickte Jasper nicht einmal hoch. »Ich prüfe, ob er tatsächlich im Koma ist.«
    »Selbstverständlich ist er im Koma!«
    »Ihr Großvater hat schon mindestens zweimal zuvor seinen eigenen Tod simuliert. Er ist ein Meister der Täuschung. Im Jahr 1959 schlich er sich, als Clown verkleidet, im Kreise einer armenischen Zirkustruppe in den Buckingham-Palast ein. Von ’61 bis ’64 lebte er unerkannt als Jagdgehilfe auf Balmoral. 1966 ruinierte er den Chef der Sondereinsatztruppe des Hauses Windsor bei einer Pokerpartie in Monte Carlo, bei der es um hohe Einsätze ging. Also denke ich, er wäre mehr als fähig, einen Schlaganfall vorzutäuschen, finden Sie nicht?«
    »Doch nicht Großvater!«, sagte ich. »Das klingt überhaupt nicht nach ihm!«
    »Dann kannten Sie ihn nie richtig.« Jasper steckte das Gerät wieder ein. »Aber so ist es nun mal.«Er klang enttäuscht. »Wahrscheinlich der Suff.« Er hob den Kopf und starrte ins Leere, einen Ausdruck stillen Respekts auf dem Gesicht. »Ich bin jetzt bei ihm, Sir … Ich fürchte, es sind schlechte Nachrichten … Bitte. Wir dürfen nicht aufgeben … Jawohl. Verstanden … Ich sage es ihm.« Er drehte sich energisch zu mir um. »Wir sehen uns morgen, Mister Lamb.« Dann murmelte er etwas vom Rest meines Geburtstages, für den er mir viel Spaß wünsche, und schritt missgelaunt davon.
    »Und das war alles?«, rief ich ihm nach. »Was geschieht jetzt?«
    Aber Jasper ging, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, und stapfte entschlossen dem nächsten Drama entgegen, das ihn gewiss irgendwo erwartete. Kurz darauf war es wieder völlig still im Zimmer.
    Da ich keine Ahnung hatte, was ich jetzt tun sollte, ließ ich mich auf den Stuhl sinken und saß ein Weilchen nur da, die Hand des alten Mannes in der meinen. »Ist das wahr?«, fragte ich ihn. »Ist irgendetwas davon wirklich wahr?«
     
    In dem verzweifelten Drang, mit jemandem zu reden, rief ich Mama an.
    »Wie ist es in Gibraltar?«, fragte ich.
    Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, erschien die Krankenschwester und scheuchte mich aus dem Zimmer wie eine Bauersfrau, die ihre Hühner von den Petunien wegjagt. »Keine Handys! Die machen die Apparate kaputt! Keine Handys!«
    Eigentlich schienen Großvaters Geräte völlig unberührt von meinem Handy, aber gedemütigt und betreten fügte ich mich und verlegte das Gespräch auf den Korridor.
    »Es ist herrlich hier!«, sagte Mama gerade. »Einfach wundervoll! Gordy ist ein ganz Schlimmer, er hat uns in dieses sündteure Hotel gebucht!« Sie unterbrach sich, um mit jemand anderem zu sprechen, und ich hörte sie meinen Namen erwähnen. Ich stellte mir vor, wie sie dabei die Augen verdrehte und so ihre Hilflosigkeit angesichts dieser Nervenprobe zum Ausdruck brachte. Dann war sie

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