Das Königshaus der Monster
dem Kopf.
Dedlock schoss ihm einen stahlharten Blick zu. »So ist es besser.« Ich hingegen wurde mit einem Lächeln bedacht und merkte zum ersten Mal, dass der Alte nur mehr wenige Zähne hatte – alles, was ihm blieb, waren verfaulende, schiefe gelbe Stümpfe. »Wir wollten, dass Sie sich wie zu Hause fühlen«, sagte er. »Alles Gute zum Geburtstag, Henry Lamb!«
Ich kämpfte gegen einen hysterischen Lachreiz an.
Wieder stellte Dedlock seine Zahnreste zur Schau. »Genießen Sie Ihren Geburtstag! Feiern Sie Ihr Überleben! Aber beten Sie, dass Sie nie so vieles von dem durchleiden müssen, was ich durchlitten habe.«
Die Gondel erbebte und begann ihren Aufstieg. Als der Mann im Tank mich wieder ansah, war sein Lächeln vergangen. »Die Feier ist vorbei. Nun zum Geschäftlichen.«
»Ich möchte gern wissen, wozu Sie mich brauchen«, sagte ich so ruhig und deutlich wie möglich. »Ich bin nichts Besonderes. Ich bin nur eine unbedeutende kleine Nummer in der staatlichen Archivverwaltung und habe nichts zu tun mit Ihrem Bürgerkrieg!«
»Sie haben ganz recht.«
»Ach.« Das enttäuschte mich ein wenig. »Tatsächlich?«
»Sie sind wahrhaftig nichts Besonderes, Henry Lamb«, sagte der Alte im Tank. »Absolut nichts Besonderes. Und doch – Ihr Großvater, der war ein bemerkenswerter Mann. Ich kannte ihn sehr gut. Eine Zeit lang waren wir sogar Freunde.«
»Sie und er? Freunde?«
»Gewiss. Und in der Tat ist nur diese unerklärliche Zuneigung, die er für Sie verspürte, der Grund dafür, dass Sie hierher berufen wurden.«
Ein ganz bestimmter Verdacht formte sich in meinem Kopf. »Großvater hatte irgendetwas mit alldem hier zu tun, nicht wahr?«
Dedlock und Jasper tauschten wachsame Blicke.
»War er …« Die Stimme versagte mir; ich wagte kaum, den Gedanken auszusprechen. »War er einer von Ihnen?«
Der Alte betrachtete mich mit einem langen, sachlichen Blick. »Es gab eine Zeit, das ist schon lange her, da hätte ich gesagt, er wäre der Beste von uns allen.«
»Erzählen Sie mir mehr«, drängte ich. »Auf der Stelle!«
Dedlock wandte sich ab und schwamm hinüber auf die andere Seite des Tanks. »Wir suchen nach einer Frau namens Estella. Wenn sie gefunden ist, hat der Krieg ein Ende. Ihr Großvater war der letzte lebende Mensch, der wusste, wo sie sich befindet, und ich kann nur hoffen, dass er die Freundlichkeit gehabt hat, uns einen Hinweis zu hinterlassen. Sie müssen Jasper mit in die Klinik nehmen.«
»Wozu, um alles in der Welt …«
»Das ist ein direkter Befehl. Sie mögen zwar einer verweichlichten, kraftlosen Generation angehören, aber der Begriff ›Befehl‹ wird Ihnen doch wohl vertraut sein, oder?«
Ich antwortete nicht.
»Sobald die Zeit reif ist, werde ich Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen, Henry Lamb. Bis dahin – tun Sie einfach Ihre Pflicht.« Und mit dieser letzten Ermahnung, geäußert in einem anklagenden Tonfall, drehte uns der Alte den Rücken zu und starrte schweigend hinab auf die Stadt.
SIEBEN
Als wir vor dem Krankenzimmer standen, in dem mein Großvater lag, erfuhren wir, dass der alte Lumpensack gerade gewaschen wurde – eine grässliche, makabre Sache, die ich keineswegs mit ansehen wollte. Jasper und ich verzogen uns in die Kantine, wo wir bei lauwarmem Kaffee und einem gummiartigen Schinkensandwich eine missliche halbe Stunde verbrachten.
Erst jetzt war ich endlich in der Lage, Mister Jasper dazu zu bringen, mich anzuhören. Während der Fahrt vom Riesenrad zum Krankenhaus – die mit Ausbrüchen zielloser Verbitterung seitens unseres Fahrers gewürzt worden war – hatte er in ernstem Schweigen dagesessen und jeden Versuch meinerseits, ein Gespräch in Gang zu bringen, ignoriert oder zurückgewiesen.
»Ich möchte Sie nach dem Krieg fragen«, sagte ich jetzt.
»Nur zu, nur zu«, antwortete Jasper sardonisch.
»Das Haus Windsor … damit meinen Sie die königliche Familie, nicht wahr?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Es ist nur … als besonders bösartig habe ich sie nie empfunden. Ein bisschen peinlich manchmal, leicht vertrottelt, das ja, aber …«
»Sie möchte, dass die Stadt verwüstet wird. Sie will London in Trümmern sehen.«
»Warum? Warum, um alles in der Welt, sollte sie das wollen?«
Jasper verzog gallig das Gesicht. »Hoffen wir, dass Sie es nie herausfinden müssen.«
»Waren Sie mit ihm bekannt?«, fragte ich. »Mit meinem Großvater?«
»War vor meiner Zeit. Lange vor meiner Zeit.«
»Warum konnten Sie ihn nicht
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