Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
Großvater. Auf der Station ging es geschäftiger und lauter zu als sonst; ganze Familien strömten pflichtschuldigst herein, um halb vergessenen Verwandten ihre Aufwartung zu machen, und verstopften die Säle mit ihrem schlechten Gewissen, der gelangweilten Nachkommenschaft und welken Blumensträußen. Überall saßen sie herum, gähnten verstohlen, plauderten geistloses Zeug und sahen alle zwei Minuten auf die Uhr, um das Ende der Besuchszeit nicht zu versäumen.
    Ich nahm Großvaters pergamentene Hand in die meine und brach mein Schweigen nur zweimal. »Was hast du mir verheimlicht?«, fragte ich. »Was hattest du zu verbergen?«
    Keine Antwort, nur das unaufhörliche vorwurfsvolle Summen der lebenserhaltenden Apparate.
     
    Und plötzlich war die Atempause wieder vorbei. Am Montagmorgen sprang ich aus dem Bett, duschte und frühstückte mindestens eine Stunde lang, ehe ich abmarschbereit zu sein hatte. Ich sah mir die Frühnachrichten an – die übliche Aufzählung von Krisen und Katastrophen – und fühlte mich die ganze Zeit so nervös und aufgeregt wie am ersten Schultag.
    Abbey tapste schlaftrunken ins Zimmer, unvergleichlich elegant in Pyjama und Morgenmantel, auch wenn sie sich noch den Schlaf aus den Augen rieb. »Du bist früh auf.«
    »Ich fange heute den neuen Job an.«
    »Ich weiß.« Sie grinste. »Wie könnte ich das denn vergessen?«
    »Wäre ja möglich«, sprudelte ich hervor. »Niemand erwartet, dass du immerzu auf dem Laufenden bleibst, was deinen Untermieter betrifft!«
    Sie streckte die Hand aus und zauste mein Haar. »Oh, du bist ja mehr als nur ein Untermieter.«
    Ich spürte, wie ich dunkelrot wurde.
    »Neuer Anzug?«
    Ich bejahte.
    »Dachte ich’s doch. Aber damit fährst du nicht auf dem Rad, oder?«
    »Ob du es glaubst oder nicht, sie schicken mir einen Wagen!«
    Abbey hob eine makellose Augenbraue. »Ein schöner Schritt nach oben.« Sie verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit einer Schüssel schokoladeüberzogener Getreideflocken zurück. Ich stand auf, überprüfte mein Aussehen im Spiegel und drehte mich zu ihr, um mich zu verabschieden.
    »Einen schönen Tag wünsch ich dir.«
    »Ich dir auch. Und viel Glück!«
    Ich ging zur Tür.
    »Henry?«
    Ich wandte mich um.
    »Der Anzug gefällt mir wirklich.«
    »Danke.«
    »Du siehst gut aus …« Ein Hauch Frivolität huschte über ihr Gesicht. »Also, ich würde eindeutig …«
    Wieder herrschte Stille, diesmal länger als zuvor, während der ich wirklich nicht hätte sagen können, wer von uns beiden röter wurde.
    »Tschüs«, sagte ich und fummelte an der Türkette herum; ich glühte vor Verlegenheit und zaghafter Hoffnung. Ich war schon auf halbem Weg die Stufen hinab und fast auf der Straße, als mir die winzige Ironie zu Bewusstsein kam: Heute war mein Geburtstag.
     
    Ein älteres schwarzes Taxi stand mit laufendem Motor an der Kante des Bürgersteigs; hinter der Windschutzscheibe steckte ein abgerissenes Stück Karton: Lamb. Der Fahrer (das zottelige Haar unfrisiert, der Bart ein Feind der Klinge) war in einen klobigen Wälzer vertieft. Ich klopfte ans Glas, und er kurbelte widerwillig das Fenster herab.
    »Guten Morgen!«, sagte ich und bemühte mich nach Kräften, fröhlich zu klingen. »Ich bin Henry Lamb.«
    Der Fahrer starrte mich an.
    »Man hat mir gesagt, Sie würden auf mich warten.«
    Ein weiterer abschätzender Blick, dann: »Sie können Barnaby zu mir sagen. Und jetzt steigen Sie ein.«
    Ich riss die Tür auf und kletterte auf den Rücksitz. Das Innere des Wagens war mit dieser Sorte langer weißer Haare bedeckt, die nach nassem Hund riechen und sich tagelang eifersüchtig an die Heider klammern.
    »Sie haben also einen Hund«, sagte ich in dem Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, während ich mich angurtete.
    Barnaby hauchte dem Motor sachte Leben ein. »Einen Hund? Wie kommen Sie auf die Idee, ich könnte einen Hund haben? Stinkende kleine Kläffer.«
    Eine lange und sehr peinliche Pause folgte, und wir fuhren bereits durch die Ausläufer von Stockwell, ehe einer von uns beiden wieder das Wort ergriff.
    »Was lesen Sie denn da?«, erkundigte ich mich, bemüht, einfach nur freundlich zu sein.
    Zu meiner Beunruhigung wandte Barnaby die Augen von der Straße ab und warf einen langen Blick hinunter auf den Titel des Buches: »Rider Haggards mittlere Erzählungen und das strukturalistische Problem der Moderne.«
    »Hört sich nach schwerer Kost an.«
    Worauf Barnaby mit mühsam beherrschtem Zorn

Weitere Kostenlose Bücher