Das Königshaus der Monster
beisammen; die Atmosphäre war erfüllt von Unausgesprochenem.
»Wie war die Arbeit?«, fragte ich schließlich.
»So wie immer«, sagte sie, »ziemlich langweilig. Wieder ein paar reiche Leute, die sich scheiden lassen. Langsam denke ich, dass das Leben doch noch aus mehr bestehen muss!«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Henry?«
»Hmm?«
»Was geht da mit dir vor?«
Ich zögerte. »Das kann ich nicht sagen. Ich würde furchtbar gern mit dir darüber reden, aber ich kann wirklich nicht.«
»Wenn du eine mitfühlende Schulter brauchst …«
»Danke.«
Sie beugte sich zu mir und küsste mich – lange und ausdauernd – auf den Mund. Es überraschte mich selbst, dass ich nicht zu müde war, um mit Hingabe darauf einzugehen.
»Abbey?«, flüsterte ich, als wir in einer halben Umarmung mit ineinander verflochtenen Fingern ausgestreckt auf dem Sofa lagen. »Was würdest du sagen … Was wäre deine Reaktion, würde ich dir sagen, dass seit Jahren ein heimlicher Bürgerkrieg in diesem Land stattfindet? Dir verraten, dass sich eine kleine Zweigstelle im öffentlichen Dienst und die königliche Familie seit 1857 bis aufs Messer bekämpfen?«
Abbey lachte auf. »Meine Güte, Henry, du bist so anders als die übrigen Kerle, mit denen ich je zusammen war!«
Ich starrte sie mit steinerner Miene an.
»Bitte sag mir, dass du mich auf den Arm nimmst!«, rief sie.
»Natürlich«, lächelte ich und verachtete mich selbst wegen meiner Feigheit, meiner Angst. »Natürlich, ein kleiner Scherz, weiter nichts.«
NEUN
Bekleidet mit nichts als der Badehose zur Wahrung seines verschrumpelten Schamgefühls, trieb Dedlock in seiner Nährflüssigkeit und starrte mich aus dem Glassarkophag böse an. »Es ist Ihnen nicht gelungen, aus dem Haus Ihres Großvaters irgendetwas zu retten, was von Wert wäre. Das Tagebuch des Alten wurde von den Flammen vernichtet.«
»Tut mir leid, ja.«
Als Dedlock auf mich zupaddelte, kam mir ein Hai in einem Aquarium in Erinnerung, das ich einmal in den Semesterferien mit Großvater besucht hatte. Zahnlos und uralt, wie das Tier war, konnte es seit Jahren keinen Bissen Futter selbst erlegt haben und hatte gewiss sein halbes Leben an Fleischbrocken herumgekaut, die von den Wärtern ins Wasser geworfen worden waren; und trotz allem blitzte die Mordlust unvermindert aus seinen Augen. Als ich den Hai damals durch das Glas beobachtete, wurde mir klar, dass er nur eine einzige Chance brauchte, eine einzige kleine Unachtsamkeit seitens seiner Besitzer, und er würde die Gelegenheit ergreifen zu töten – und wenn nicht anders, als sein Opfer mit den zahnlosen Kiefern zu packen und im Ganzen hinunterzuwürgen.
»Inakzeptabel, Henry! Sie sind nicht mehr dabei, alte Akten abzulegen! Jedes Geheimnis, das sich in diesem Haus befunden hat, ist zu Asche verbrannt, der einzige Mensch, der uns helfen könnte, liegt im Koma, und das Haus Windsor lässt seine Truppen gegen uns aufmarschieren!«
Flankiert wurde ich von Steerforth und Jasper, die beide in taktisch klugem Schweigen verharrten, während ich meine Standpauke erhielt. Steerforth sah aus, als hätte er sich am Morgen nicht rasiert, und schien an einem außergewöhnlich hartnäckigen Kater zu laborieren. Ein vollreifer Pickel zierte sein Kinn.
»Wir haben keine andere Wahl, Sir«, sagte er jetzt. »Das wissen wir alle.«
Als Dedlock sich wieder mir zuwandte, glitzerten seine Augen in einer haarsträubenden Imitation von Herzlichkeit. »Henry Lamb?«
»Ja?«
»Der Zeitpunkt ist gekommen, um Ihnen genau zu erklären, weshalb wir diesen Krieg führen – warum das Haus Windsor der Todfeind dieser Stadt ist. Der Zeitpunkt ist gekommen, Ihnen das Geheimnis zu verraten.«
Jasper berührte mich an der Schulter. »Tut mir leid, mir hat Ihre naive Unwissenheit immer gefallen.«
»Sie sollten sich vielleicht setzen«, sagte Dedlock. »Es kann vorkommen, dass Menschen plötzlich den Boden unter den Füßen verlieren, wenn sie die Wahrheit erfahren. Außerdem würde ich Sie ersuchen, nicht aufzuschreien. Dies ist die gewinnbringendste Attraktion der Stadt, und ich habe keine Lust, unsere Besucher zu erschrecken.« Wiederum grinste er in einem gespenstischen Zerrbild von Fröhlichkeit. »Also dann«, sagte er mit einem – wie er wohl annahm – onkelhaften Zwinkern. »Sitzen wir auch bequem?«
Ich verließ die Gondel, durchquerte rasch die Illusion der Touristenschlange und eilte zu dem kleinen Stück Rasen, das an das Riesenrad angrenzt. Dort
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