Das Königshaus der Monster
Finsternis hinein. »Ich komme vom Direktorium.«
Einen schrecklichen Moment lang passierte gar nichts. Dann – Licht. Grelles, hartes Licht, so unerträglich hell, dass es vor meinen Augen bunte Farbflecken tanzen ließ und mich zwang, heftig zu blinzeln, bis ich mich an den blendenden Schein gewöhnt hatte. Ein Deckenstrahler richtete seinen Kegel auf eine große kreisförmige Stelle in der Mitte des Raumes, deren Begrenzung mit weißer Kreide markiert war. Im Zentrum des Kreises saßen – auf bunten Liegestühlen, so als hätten sie sich auf dem Strand von Brighton zu einem nachmittäglichen Nickerchen niedergelassen – die zwei sonderbarsten Gestalten, denen ich je das Pech hatte zu begegnen.
Zwei erwachsene, schon in die Jahre gekommene Männer, einer mit rötlichem Haar und untersetzt, der andere schlank und schmal, mit einer dunklen Haarlocke über der Stirn. Beide (und das war wohl das Bizarrste) waren gekleidet wie altmodische Schuljungen – in identische blaue Blazer und kurze graue Hosen aus irgendeinem kratzenden Stoff. Der Kleinere von beiden trug dazu eine gestreifte Mütze.
Sie strahlten übers ganze Gesicht, als sie mich erblickten.
»Hallo!«, rief der Größere. »Ich heiße Hawker, Sir. Er heißt Boon.«
Sein Kamerad kniff ein Auge zusammen, als er den Blick auf mich richtete, und das allein reichte schon, um jede Alarmglocke in mir zum Schrillen zu bringen. »Nennen Sie uns einfach ›die Präfekten‹.«
Henry Lamb ist ein Lügner. Nehmen Sie nichts, was er sagt, für bare Münze. Er flunkert Ihnen etwas vor, beschönigt die Wahrheit, erzählt Ihnen das, was Sie seiner Meinung nach hören wollen. Henry ist kein Unschuldslamm. Das lilienweiße Lamm hat Blut an den Händen.
Welch ein Glück für ihn, dass wir kein Interesse daran haben, nur seinen Namen zu beschmutzen. Es bleibt ihm ja nicht mehr viel Zeit, bevor sein bewusstes Denken unwiderruflich ausgelöscht wird – ein unausweichliches Schicksal, vor dem Naserümpfen und Bezichtigungen wohl zu kleinlicher Entbehrlichkeit schrumpfen. Stattdessen haben wir vor, uns diese letzten paar Tage zu vertreiben, indem wir Ihnen unsere Seite der Geschichte schildern, und Sie haben unser eidesstattliches Wort, dass im Gegensatz zu Henrys eigenen, nur zu seinem persönlichen Nutzen aufgezeichneten Schilderungen jede Silbe der unseren der Wahrheit entsprechen wird.
Machen Sie sich gefasst darauf, Henrys tägliches Universum aus Büromädchen, Zimmerwirtinnen und den morgendlichen Fahrten zur Arbeit zu verlassen. Freuen Sie sich auf einen gewaltigen Satz weg von rührseligen Gefühlen für die Alten und pubertärem Verlangen nach dem Mädchen nebenan; dies ist die Geschichte, die zählt. Dies ist die Geschichte des Krieges, des letzten Prinzen, des Sturzes des Hauses Windsor.
Wir nehmen an, sie ist weitaus eher nach Ihrem Geschmack.
Etwa zu der Zeit, als Henry, der Lügner, die Bekanntschaft von Hawker und Boon machte, lauschte der künftige König von England einem Raum voller Leute, die dafür bezahlt waren, ihm Bewunderung zu zollen, indem sie ihm lauthals ein begeistertes Geburtstagsständchen darbrachten.
Seine Königliche Hoheit Prinz Arthur Aelfric Vortigern Windsor war ein Mann, dessen Erscheinung man großzügig als »ungewöhnlich« beschreiben könnte: keine vornehme Blässe, keine arroganten Backenknochen wie bei den meisten seiner Vorfahren und einem Großteil dieser unübersehbaren Schar männlicher Verwandter, auf die er – in jenem bekümmerten Tonfall, den die Nation mittlerweile etwas irritierend fand – nur unter der Bezeichnung »die Sippe« Bezug nahm … Dieser Windsor jedenfalls war mit unglücklichen Körperproportionen, dünnen Lippen und der Nase eines Pharaos geschlagen. Dazu war er ein Mensch, der sich im einundzwanzigsten Jahrhundert absolut nicht zu Hause fühlte. Er verabscheute die Ungeschliffenheit dieser Kultur, das schale Geflimmer der Television, das unmelodische Hämmern dieser Musik. Doch am meisten verabscheute er die Art und Weise, wie seine Familie – einst das einflussreichste Geschlecht Europas – zu einer Zielscheibe landesweiten Spotts verkommen war.
Dieser Tag war ein ganz besonderer; nicht nur, weil Arthur seinen sechzigsten Geburtstag feierte – einen Meilenstein in einem Leben, das ihm in zunehmendem Maße ohne Ziel und Richtung erschien –, sondern auch, weil es der Tag war, an dem er schließlich doch eine traurige Wahrheit akzeptierte: Seine Frau – geliebt von den
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