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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Frage.
    »Meine Herren!« Jaspers Miene war die eines Falschspielers, der wusste, dass er nicht verlieren konnte. »Dies ist unsere Jägerin.«
    Die Frau lächelte nicht; nicht mit dem leisesten Nicken quittierte sie Jaspers Einführungsworte. Sie bedachte uns nur mit einem Blick, wie ihn der erste Neandertaler für ein Grüppchen Cro-Magnon-Menschen gehabt haben könnte.
    »Bemerkenswert«, murmelte Miss Morning. »Selbstverständlich unvereinbar mit jeglichen moralischen Grundsätzen, aber dennoch – bemerkenswert.«
    »Barbara?«, fragte ich noch einmal. »Sie sind es doch – oder?«
    Mit einer seltsam mechanischen Bewegung drehte sie den Kopf in meine Richtung. Es fiel mir auf, dass sie bereits den gleichen Ohrhörer trug wie wir alle, und ich fragte mich unwillkürlich, ob ich über diese Verbindung nicht das Surren des Motors in ihr, das Klicken ihrer Rädchen vernehmen konnte.
    »Hallo, Henry«, sagte sie, und die Stimme verriet mir, dass es immer noch Barbara war. Zwar verändert, umgekrempelt, durch irgendeine schwarze Kunst völlig verwandelt, aber irgendwie immer noch Barbara. Ihre vollkommenen Lippen formten jedes Wort, als wären sie noch im Begriff zu lernen, wie man das macht. »Barbara ist irgendwo da drinnen. Sehr tief begraben. Sie sagt hallo.« Das Wort »hallo« sprach sie aus, als würde sie es zum ersten Mal gebrauchen – und als wäre es etwas Fremdes, leicht Abstoßendes; die Art und Weise erinnerte mich an einen Richter, der gezwungen ist, gelegentlich die Gossenausdrücke eines jungen Übeltäters, der vor ihm steht, in den Mund zu nehmen.
    Ich wandte mich an Jasper. »Was, zum Teufel, haben Sie mit ihr angestellt?«
    Er lachte leise. »Ich habe sie besser gemacht. Es ist Estella, die zu uns zurückgekehrt ist. Dies bedeutet den Sieg!«
    »Genug«, fuhr Dedlock dazwischen. »Ich brauche Beweise.«
    Barbara tänzelte an uns vorbei und so dicht wie möglich an den Tank heran. »Die erste Estella befindet sich in meinem Inneren. Und sie kennt Sie, Dedlock.«
    »Estella …!«, stammelte der Alte. »Sie sind zu mir zurückgekommen!«
    »Ein schönes Gefühl, wieder hier zu sein, Sir«, sagte sie, doch ihre Stimme klang keineswegs überzeugend.
    Der Mann im Tank wand sich. Ich habe keinen Zweifel, dass ihm der Schweiß wie Raureif aus Schläue, Verlogenheit und Verrat auf der Oberlippe stand; doch das festzustellen war natürlich nicht möglich. »Woran entsinnen Sie sich noch?«
    »Ich entsinne mich an beinahe alles.«
    »An beinahe alles?«
    »Ich kann mich selbst an kleinste Details aus Estellas Leben erinnern. Und an das meiste aus dem Dasein der armen Barbara. Aber ich bin mehr als eine Verbindung von beiden.«
    Der Leiter des Direktoriums wirkte ängstlich.
    »Meine Herren, wir vergeuden Zeit.« Barbara schritt energisch zurück in die Mitte der Gondel. »Das Direktorium hat die letzten vierundzwanzig Stunden vertrödelt. Wir sollten die Präfekten längst in Gewahrsam haben.«
    »Verraten Sie mir«, sagte Dedlock im Tonfall eines kleinen Jungen, »wie wir sie finden sollen!«
    »Die Antwort liegt direkt vor eurer Nase. Jeder von euch hätte selbst draufkommen können.«
    Die meisten von uns ertrugen ihren Anblick nicht mehr, und so starrten wir trübsinnig zu Boden oder verschämt aus dem Fenster wie eine Schar Neuankömmlinge in einem Zuchthaus, in dem man gern abschließt und den Schlüssel wegwirft.
    »Dedlock!«, bellte Barbara. »Zeigen Sie uns eine Wärmekarte der Stadt!«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Wir haben keine Zeit für Ihre Spielchen! Tun Sie, was ich sage! Ein Radius von etwa fünfzehn Kilometern von Whitehall aus.«
    Dedlocks Finger zuckten durchs Wasser, und wie durch ein Wunder erschienen nach einem kurzen Schimmern die Straßen und Gassen Londons, formten sich aus der Flüssigkeit in einer geheimnisvollen, wässrigen Kartografie zu einem Plan der Stadt. Darübergelegt waren gelbe und orangefarbene Kleckse.
    »Eine Wärmekarte nutzt uns nicht«, protestierte Dedlock. »Alles hinterlässt Spuren!«
    Barbara hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Die Präfekten sind Kreaturen aus Feuer und Schwefel. Sehen Sie auf die Karte. Sie werden sich zeigen.«
    Mitten unter all dem Orange und Gelb erschienen zwei rote Sprenkel.
    Anderen in ihrer Lage hätte es wahrscheinlich Mühe bereitet, von einem triumphierenden Tonfall abzusehen, doch aus Barbaras Stimme klang keine Spur von Selbstgefälligkeit oder Stolz. »So. Und nun haben wir unsere beiden

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