Das Königsmädchen
meinen Mund.
»Pscht. Du solltest nicht sprechen. Du hast viel Blut verloren.«
Ich nickte. »Es wird sicher bald jemand nach mir suchen.«
Ich musste an meine Mutter denken; stellte mir vor, wie sie auf mich wartete und wütend durch die Gegend stapfte. Würde sie mich doch suchen kommen. Langsam verschwand die Sonne hinter Kwarr Marrh und es wurde noch kühler. Die Wärme des Feuers und die des Jungen erfüllten mich, doch nun kamen die Gefühle hoch. Starke Gefühle, die ich die ganze Zeit unterdrückt hatte.
Ich hatte Angst, wie noch nie in meinem Leben. Ich hatte Schmerzen, wie nie zuvor in meinem Leben. Und jetzt war ich so unglaublich hilflos. Das öde Leben auf dem Plateau war in den Hintergrund gerückt und plötzlich gab es schlimmere Probleme als den Kampf mit den Königsmädchen. Wir verloren beide viel Blut, hatten kein Pferd, ich wusste überhaupt nicht, wo wir waren. Hier würde uns niemand finden können.
Es war zu viel für mich. Zu viel von allem, doch ich wollte nicht weinen. Der Junge hatte seinen Wolf verloren und war dem Tod näher als ich. Er hatte sein Leben für mich geopfert, da konnte ich doch nicht rumheulen.
Doch die Tränen ließen sich nicht aufhalten und so kullerten dicke Tropfen über meine Wange und auf den Arm des Jungen, dessen Namen ich nicht mal kannte. Unter Schmerzen hob er seinen linken Arm und strich mir eine Träne aus dem Gesicht.
»Es wird alles wieder gut. Es wird sicher bald Hilfe kommen!«
Ich musste mich beruhigen. Er war völlig entstellt. Es war fraglich, ob er überhaupt überlebte, und ich heulte wie ein kleines Mädchen.
»Eins muss ich wissen«, sagte ich leise.
Er lächelte.
»Wie ist dein Name?«, fragte ich und sah ihm tief in die Augen.
»Briar.«
Da lag ich nun in den Armen von Briar. War er der Letzte, den ich im Leben sehen würde? So selbstlos hatte er mich gerettet, während er seinen Wolf verloren hatte. Niemals wäre seinen beiden Wölfen oder ihm etwas passiert, wenn ich nicht so eigensinnig gewesen wäre.
Er hob den Kopf, um sich meine Wunde am Hals anzusehen.
»Du brauchst bald Hilfe«, sagte er und schaute sich hilfesuchend um, als würde plötzlich jemand hervorspringen.
»Es geht schon. Mach dir keine Gedanken, mein Vater lässt bald nach mir suchen.«
Er nickte und untersuchte auch mein Gesicht. Dann legte er den Kopf auf seine Schulter und beobachtete mich. »Wie ist dein Name?«, fragte er schließlich und errötete leicht.
»Lilia.«
Er lächelte.
»Lilia, du bist das Schönste, was ich je gesehen habe.«
Vielleicht war die Wunde an seinem Kopf schlimmer, als ich dachte. Ich wollte lächeln, war aber nicht in der Lage dazu. Und so lagen wir einfach nur da, schauten uns an und lauschten in den Wald.
Wir hörten weder das Brüllen des Nebulos noch Geräusche des anderen Wolfes. Wir schauten einander tief in die Augen, als könnten wir uns allein durch unseren Blickkontakt Mut zusprechen.
Er prägte sich jeden Zentimeter meines Gesichtes ein, roch an meinem Haar und lauschte meinem Atem. Und ich ließ ihn gewähren, denn er war mein Retter.
Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Seine Augen strahlten, umrahmt von tiefschwarzen Wimpern und fast geraden Augenbrauen. Seine Augenfarbe war ungewöhnlich. Es war ein kräftiges Blau, dem des Flusses ähnlich, obwohl er dunkelbraune Haare hatte.
So tiefblaue Augen sagte man den Amaren nach. Sie waren ein ehrbares Volk, das auf einer Insel im Meer lebte. Man sagte, dass sie allesamt blaue Augen hatten. Doch sie hatten blonde Haare, nicht so wie Briar. Seine dunkelbraunen Haare lagen nun strähnig um seinen Kopf. Auf seinen Wangen war getrocknetes und frisches Blut, die Wunden hörten nicht auf zu triefen.
Jedes Mal, wenn ich auf seine rechte Wange blickte, schnürte es mir den Hals zu. Nicht vor Ekel, sondern vor Scham und Schuldgefühlen. Er sah durch mich so aus. Nur, weil ich unbedingt noch mal zum Fluss wollte. Sein Blick huschte über meinen Hals und ein schnelles Zucken um seine Augen verriet mir, dass auch ich heute entstellt wurde.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch und bekam Angst. Ich legte meine Hand auf seine Hüfte und drückte leicht zu. Briar löste sich aus der Umarmung und legte mich vorsichtig wieder ab. Sofort wurde es kühl, seine Wärme fehlte mir.
Langsam griff er nach seinem Stock, ließ ihn aber sofort wieder fallen und sein Gesicht erhellte sich.
»Lala, mein Mädchen, komm her!«
Seine Wölfin
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