Das Königsmädchen
Er will, dass wir etwas verändern, damit dem Volk nichts passiert. Ich habe schon herausgefunden, dass der Stein nur einen eingeschränkten Radius hat, in dem er sehen kann. Der Stein wurde damals mitten im Wald gefunden und ich denke, dass der Bereich um diesen Ort herum liegt.«
»Wo genau wurde der Stein gefunden?«
»Es war mitten im Wald von Jeer-Ee. Dort, wo der steile Hang abfällt, weißt du?«
Ich nickte. »Auf jeden Fall wird die Sicht ab den Steinfeldern unklar, daher ist es auch verboten, sie zu betreten. Dort kann der Stein uns nicht mehr beschützen!«
Sie wartete auf eine Reaktion meinerseits, aber ich war noch immer geschockt. »Na ja, und weiter als den Fluss kann er auch nicht sehen. Das Tal, das du gesehen hast, nennt sich Kendal.«
»Kendal, woher weißt du das?«
»Nun, dieses Wissen habe ich von den Jungfern vor mir übernommen. So hat man es uns beigebracht.«
»Das heißt, die Jungfern wissen alle um das Geheimnis des Steins?«
»Einige wenige schon. Lilia, das ist ein absolutes Geheimnis und es soll auch eines bleiben.«
»Keine Sorge, Atira. Ich werde es für mich behalten, das verspreche ich. Wie weit kann der Stein über den Pass schauen?«
»Nicht sehr weit. Nur so weit, wie auch wir aus dem Wald herausschauen können. Doch dahinter ist das Gebirge vernebelt.«
»Und bis zur von Wand von Ja-Han«, vermutete ich.
Sie nickte und legte ihre Hand auf meine.
»Lilia, du darfst mit niemandem darüber sprechen!«
Ich musste wieder an die Vision denken. »Wie können wir aufhalten, was ich eben gesehen habe?«, fragte ich.
Wenn die Amaren uns angriffen, wären wir alle dem Tode geweiht. Es waren zu viele, darauf waren wir nicht vorbereitet. Es gab nur eine Möglichkeit: »Atira, das darf nicht passieren! Wir müssen sie zuerst angreifen!«
Ein Zucken um ihre Mundwinkel zeigte mir, dass meine Worte sie erfreuten. Das war genau, was Atira gewollt hatte. Und ich würde Kinthos davon überzeugen müssen, aber nicht weil sie es wollte, sondern weil ich jetzt selbst fest davon überzeugt war, dass ein Kampf unsere einzige Chance gegen die Amaren war. Wir mussten sie überraschen und das Bündnis brechen! Ich nickte ihr traurig zu und sie legte ihre Hand auf meine Schulter.
»Lilia, wir können die Zukunft ändern!«
Woher wollte sie das wissen?
»Hast du die Zukunft schon einmal beeinflusst?«, fragte ich sie.
»Ja, schon einige Male.« Anscheinend war sie nicht stolz darauf, denn sie senkte ihren Kopf und ließ ihre Hand von meiner Schulter gleiten. »Ich habe schon so oft versucht, Menschen zusammenzubringen, die zusammengehörten, weil der Stein es für richtig hielt.«
Sie sah mich traurig und schuldbewusst an. »So war es auch bei deinen Eltern …«
»Was?«
»Urticas hatte seine Wahl damals schnell getroffen – schon nach der ersten Deligo hatte er sich für deine Mutter entschieden.«
Ich schaute sie überrascht an, doch sie blickte zum Stein. »Ich war damals Mitte vierzig und schon eine Jungfer des Tempels. In einer Nacht wie dieser ging ich zum Beten in die Kapelle, weil ich keinen Schlaf finden konnte.«
»So ging es mir eben auch«, flüsterte ich zu meiner Entschuldigung.
»Ich kam hier hin und der Stein leuchtete so hell, als würde er von der Sonne angeschienen.«
Es war genau wie bei mir, der Stein hatte nach mir gerufen! »Instinktiv legte ich meine Hand auf ihn, seine Wärme durchströmte mich und ich begann zu schweben. Wie durch eine Wolke erschien vor mir der Tempel. Langsam ging ich hinein und eine Macht lenkte mich Richtung Kapelle.«
Mich hatte die Macht im Fluss festgehalten. Ich sollte sehen, was mit Briar geschehen würde, wenn die Amaren kämen. Ich konnte nicht entkommen, obwohl ich es versucht hatte. »Ich betrat den Korridor, der vom Tempel zur Kapelle führte«, ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre zarten Hände ballten sich zu Fäusten. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie die schlimmen Bilder aus dem Kopf bekommen. »Wie dem auch sei, es ist nicht eingetreten, ich konnte es verhindern.«
Sie lächelte mich hoffnungsvoll an. »Manchmal kann man die Zukunft ändern und das, was gesehen wurde, passiert nicht so wie in der Vision.«
»Was hast du damals gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Lilia, das kann ich dir nicht sagen.«
»Atira, ich bitte dich darum!«
Sie sah wieder zum Stein. »Na gut, aber dir muss klar sein, dass es so nicht gekommen ist.«
Ich nickte vorsichtig. »Ich betrat die Kapelle und sofort sah ich
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