Das Königsmal
Figur die reinste Augenweide.
„Hört Ihr?“ Der Gouverneur blickte Wiebke triumphierend an. „Was meint Ihr, wollen wir uns das Zimmer der Dame näher anschauen?“
Wiebke nickte atemlos. Noch ehe sie begriffen hatte, was geschah, hatte sie von Pentz aus dem Wagen gezogen. Sie betraten das Gasthaus und stürmten am verdutzten Wirt vorbei die Treppe hinauf zu den Gästezimmern.
Der Wirt folgte ihnen aufgeregt. Als er sie auf der Galerie eingeholt hatte, stutzte er beim Anblick des Gouverneurs. „Sir“, er verbeugte sich. „Kann ich Euch helfen?“
„Wir möchten das Zimmer der Kopenhagener Dame sehen“, befahl von Pentz. „Verschafft uns Zutritt. Schnell, das ist eine Sache von höchster Wichtigkeit. Und …“, er zog den Wirt zu sich heran und senkte die Stimme zu einem gefährlichen Flüstern: „… die Sache bleibt unter uns. Ihr vergesst, dass ich hier war, und ich vergesse, dass Ihr Eure Gäste nicht ordnungsgemäß abmeldet.“
„Aber Sir“, protestierte der Wirt erschrocken und mit flackernden Augen. Dann zuckte er mit den Schultern und fingerte nach einem dicken Schlüsselbund, den er am Gürtel trug. Er führte sie in einen schmalen Korridor und öffnete eine Tür. Nacheinander betraten sie den düsteren Raum.
Eine junge, dunkelhaarige Frau saß am Fenster. Erschrocken drehte sie sich um und sprang auf.
„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?“
„Das ist nicht die Gräfin“, murmelte Wiebke enttäuscht. Sie sah sich im Zimmer um und stieß plötzlich einen überraschten Schrei aus. „Die Pelzdecke! Graf von Pentz, seht nur. Ich kenne das Stück, Gräfin Munk hat sich nie davon getrennt. Sie muss noch hier in Glückstadt sein.“
Der Gouverneur war zu ihr ans Bett getreten und zog die schwere Decke in die Höhe.
„Wem gehört dieser Pelz?“, herrschte er die verängstigte Frau an.
„Meiner Herrin, Madame Anna Christensen“, flüsterte sie.
„Lauter!“
„Madame Anna Christensen.“
„Das stimmt“, mischte sich der Wirt anbiedernd in die Befragung ein. „Das Mädchen hier ist die Zofe der Dame.“
„Und wohin ist deine Herrin heute Morgen gegangen?“
Von Pentz war vor die junge Frau getreten und hatte sie bei den Schultern gepackt. Das Mädchen begann zu weinen.
„Ich weiß es nicht, Sir.“
„Lasst es gut sein.“ Wiebke legte ihre Hand besänftigend auf den Arm des Gouverneurs. „Sie wird es nicht wissen. Die Gräfin hat ihre Mädchen nie in ihre Pläne eingeweiht. Wir werden sie suchen müssen.“
Von Pentz knurrte. „Wenn du uns etwas verschweigst, Mädchen …“ Er beendete den Satz nicht. Stattdessen befahl er dem Offizier, Wache zu halten und die Gräfin festzunehmen, falls sie in ihr Quartier zurückkehren sollte. Dann nahm er die Pelzdecke und verließ das Zimmer.
Als sie unten vor dem Wirtshaus standen, schaute er Wiebke besorgt an: „Wir müssen sie finden. Und wir müssen Seine Majestät benachrichtigen. Lasst uns zum Schloss fahren. Wenn ich die Ordres des Königs habe, kann ich die Wachen an den Stadttoren verstärken und einige Suchtrupps durch die Stadt schicken.“
Wiebke nickte. Die Gräfin ist also tatsächlich hier, dachte sie erschrocken und stieg in die Kutsche. Was treibt sie nur?
Es war so einfach gewesen. Sie, Kirsten Munk in der Maskerade der Anna Christensen in der Maskerade des Botenmädchens, war so unbemerkt wie ein Blatt im Wind auf das Schlossgelände gelangt. Eingereiht in den Strom der Lieferanten, hatte niemand darauf geach- tet, dass an diesem Morgen ein anderes Gesicht den Brotkorb anlieferte. Unauffällig und mit gesenktem Kopf war sie an den Wachen vorbei durchs Tor geschlüpft und in Richtung der Küchenpforte marschiert. Dort hatte sie einem der Burschen den Korb wortlos in die Hände gedrückt und sich wieder umgedreht.
Doch sie war nicht zurück zum Tor gelaufen. Als sie sicher war, dass sie niemand beobachtete, hatte sie die Außentür zum Kellergewölbe geöffnet und war vorsichtig die feuchten Stufen hinuntergestiegen. Nach einigen Versuchen hatte sie auch die nächste Tür mit einem ihrer Schlüssel überwunden.
Sie kicherte, als sie in den Gewölben des Weinkellers stand. An den groben, aus Feldstein gemauerten Wänden stapelten sich die Fässer des königlichen Haushalts. Staub bedeckte das Eichenholz, und einige Fässer sahen so aus, als seien sie seit Hunderten von Jahren nicht angerührt worden. Das erste Fass in der Reihe jedoch zeigte Spuren des täglichen Gebrauchs. Ein Zapfhahn war eingeschlagen, und davor
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