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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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auch Wiebke, wie ihre Kräfte schwanden. Vor Müdigkeit meinte sie Stimmen im Raum zu hören, obwohl niemand bei ihnen war. Und immer größer wurde das Verlangen, ihren Kopf neben den des Königs zu betten und die Augen zu schließen. Vielleicht für immer.
    Ich kann keine Kraft mehr geben, dachte sie und sehnte sich nach ein paar Minuten frischer Luft, nach kaltem, klarem Wasser, das sie sich ins Gesicht spritzen wollte. Der Drang nach einem kurzen Spaziergang wurde übermächtig. Als Fueren eintrat, bat sie ihn, für eine Weile an ihrer Stelle zu wachen und die Hand des Königs zu halten. Der Arzt willigte gerne ein. Er hatte sich schon gefragt, woher diese zarte Person die Kraft nahm, Tag und Nacht auszuharren.
    Unten im Hof sog Wiebke gierig die kühle Novemberluft ein, die ihr entgegenschlug. Feiner Nebel benetzte ihr Gesicht und erfrischte ihre schweren Augenlider. Die Feuchtigkeit sammelte sich in ihren Haaren, und sie schlang ein Tuch um Kopf und Schultern, um sich gegen die Kälte zu wappnen.
    Als sie an den Wachposten vorbei aus dem Hof heraustrat, meinte sie, neben sich den klagenden Schrei einer Eule zu hören. Verwundert blieb sie stehen, denn der scheue Vogel ließ sich nie hören, wenn die Sonne noch am Himmel stand. Sie blickte sich um, konnte aber nichts entdecken. Nur über das Gesicht eines der Soldaten glitt ein wissendes Lächeln. Verstohlen zeigte er in eine dunkle Gasse, und seine dunklen Augen schienen zu sagen: Dort findest du, was du suchst.
    Zögernd setzte sie ihren Weg fort und bog in die schmale Gasse, die auf der Rückseite einiger Kaufmannshäuser zum Marktplatz führte. Auf dem Pflaster rieselte Wasser den abschüssigen Pfad hinunter, sie musste aufpassen, um nicht auszurutschen. Vorsichtig stützte sie sich an einer Hauswand ab. Plötzlich griff jemand nach ihrer Hand und zog sie in einen kleinen Hof. Erschrocken stolperte Wiebke und wollte sich eben gegen den Angreifer wehren, als sie eine bekannte Stimme hörte.
    „Schuh, schuh, meine Kleine. Die Eule hat mir zugerufen, dass du kommst. Endlich. Ich warte schon seit Tagen hier auf dich und drücke mich in den Gassen herum. Komm, komm. Schau mich an. Keine Angst, Mädchen. Ich sagte dir doch, dass wir uns noch einmal sehen.“
    „Deine Stimme hat sich nicht verändert“, stellte Wiebke verwundert fest.
    Sie blickte in das gealterte Gesicht der Zigeunerin. Deren langes schwarzes Haar war von weißen Strähnen durchzogen, und in ihr Gesicht hatten sich die Falten tiefer eingegraben. Doch die tiefe, volle Stimme mit ihrem eigenen Klang versetzte Wiebke in die Zeit ihrer Begegnung im Brombeerhain zurück. Plötzlich lag ein Hauch von Sommer in der Luft.
    „Warum suchst du mich? Und wer hat dir gesagt, dass ich hier bin?“
    „Du weißt, wir sind ein ruheloses Volk. Meine Familie folgt dem Tross des Königs schon lange. Wir haben ein gutes Auskommen an diesem Krieg. Viele Soldaten, die kein Geld für den Bader oder Feldchirurgen haben, kommen zu uns und suchen Hilfe. Und eines unserer Kräuter wirkt immer. Deshalb bin ich auch hier. Du kannst dem König einen Dienst leisten.“
    „Du bist mir gefolgt?“
    „Ich bin bei dir gewesen und habe gesehen, dass es dir gut geht. Doch jetzt hör mir zu, wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Die Zigeunerin kramte in den Taschen ihres weiten Umhangs und legte Wieb- ke zwei Steine in die Hand, die mit fremden Schriftzeichen bemalt waren.
    „Hier hast du zwei Steine, die mit großer Kraft beladen sind. Dazu gebe ich dir ein Päckchen Kräuter, das du zwischen den Steinen zerquetschst. Den Saft fängst du auf und flößt ihn dem König ein. Die Steine schiebst du ihm unter den Nacken. Dann wird er nach einigen Minuten aufwachen, und sein Verstand wird so klar wie vor dem Unglück sein.“
    „Warum sollte dieses Zaubermittel besser helfen als alle Anstrengungen des Leibarztes?“ Wiebke zweifelte. Sie wog die rötlich schimmernden Steine, von denen eine eigentümliche Wärme auszugehen schien, in der Hand.
    „Das ist kein Zauber“, wies die Zigeunerin sie zurecht, und ihre Augen suchten den Blick der jungen Frau. Wiebke stockte der Atem, denn sie spürte, wie die Alte auf den Grund ihres Wesens traf. „Das ist die Weisheit meines Volkes, von der sich auch manch studierter Herr eine Scheibe abschneiden könnte. Die Steine sind schon seit vielen Generationen im Besitz meiner Familie. Man sagt, sie helfen nur dem, den Liebe umgibt. Und der König wird geliebt, das sehe ich in deinen

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