Das Königsmal
Ein. Aus. Ein. Aus. Was hatte sie auch für eine törichte Hoffnung in diesen Zauber gesetzt. Vor Enttäuschung stiegen ihr die Tränen in die Augen. Eine nach der anderen rann die Wangen hinab und tropfte auf das Laken.
„Mein König, mein König“, schluchzte sie leise und legte ihren Kopf verzweifelt neben seinen.
War sie eingeschlafen? Ein Geräusch hatte sie zusammenzucken lassen. Schnell, schnell, sie musste die beiden Steine verschwinden lassen, bevor jemand den Zauber entdeckte und sie der Hexerei beschuldigte. Hastig fuhr sie auf und sah in die blauen Augen des Königs, die sie fragend anblickten. Ein sachtes Zucken seiner Finger zeigte, dass Christian in diese Welt zurückgekehrt war.
„Majestät.“ Sie flüsterte, suchte nach Worten, um ihn zu begrüßen. Um zu erklären, was geschehen war. „Majestät. Majestät hatten einen Unfall, zu Pferde. Ihr habt lange geschlafen, und wir haben uns große Sorgen um Eure Gesundheit gemacht. Doch nun ist alles gut, Majestät sind wieder bei uns. Ich werde Fueren und Eure Frau benachrichtigen.“
Sie wollte aufspringen, doch ein schwacher Händedruck Christians hielt sie zurück.
„Wiebke.“ Das Sprechen fiel ihm schwer, noch schien die Zunge seinem Willen nicht ganz zu gehorchen. „Wiebke.“
„Es ist gut, Sir“, antwortete sie und sah ihn gerührt an. „Dankt dem Herrn, dass Er Euch beschützt hat.“
Dann stand sie auf, um die frohe Nachricht zu verkünden. Noch immer liefen ihr die Tränen über die Wangen, doch sie schluchzte vor Freude. Draußen fiel strömender Regen. Dicke Tropfen prasselten gegen die Fenster, bevor sie an den Wänden hinab in den Hof flossen, wo sie sich zu Pfützen sammelten.
Schwindel. Nichts als Schwindel. Er war im Kreis gelaufen. Über Stunden? Über Tage? Er konnte sich nicht erinnern. Zäher Morast klebte an seinen Stiefeln und ließ jeden Schritt schwerer werden. Er konnte kaum die Füße vom Boden lösen. Und er musste doch voran. Musste doch voran … Noch einen Schritt. Immer voran. Immer voran. Die Stimme seiner Großmutter: „Lauf, lauf, kleiner König. Noch einen Schritt. Komm zu mir …“
Dann sah er sie. Das lange, weiße Haar flatterte im Wind. Einladend winkte sie ihm zu. Er wollte zu ihr laufen. Sie umarmen, sich an sie lehnen und sich ausruhen. Mit ihren Haaren spielen, sich glücklich fühlen. Ihre Geborgenheit spüren. Noch einen Schritt … Mühsam voran . Doch etwas hielt ihn fest, zog ihn zurück. Eine Hand. Er spürte eine warme Hand. Ein wohliges Gefühl. Wohin sollte er gehen? Wohin?
In der Ferne verblasste die Gestalt seiner Großmutter. Schemen nur noch, dann nichts mehr. Er empfand leises Bedauern. Doch die Hand war da. Beharrlich, fest. Er wusste, er konnte vertrauen. Er fasste kräftiger zu, zog sich aus dem Morast. Jetzt kam er voran. Schritt für Schritt. Immer leichter. Immer leichter …
Als er die Augen öffnete, war Wiebke an seiner Seite. Ihr blondes Haar zu Zöpfen geflochten und aufgesteckt. Ihre warmen Augen voller Tränen. Warum?
Nur langsam begriff er. Die Erinnerung kam zurück, Bruchstücke nur, doch er konnte sie zusammenfügen. Der Wall, Henning, das Aufbäumen. Der schreckliche Sturz. Dann nichts mehr.
Die Bewusstlosigkeit musste sehr tief gewesen sein. Der gute Fueren, der sich jetzt über ihn beugte, lächelte erleichtert. Blickte in seine Augen, tastete den Puls.
„Alles wird gut, Majestät. Aber schont Euch.“
Dann, mit großem Spektakel, Kirsten. Sie stürzte an sein Bett, weinte und lachte gleichzeitig.
„Christian, Christian. Gelobt sei der Herr!“
Theater. Sie strengte ihn an.
Das Kabinett. Ernste Gesichter, aber er konnte die Freude der Männer in ihren Augen sehen.
„Keine Sorge, Majestät. Die Lage ist unverändert. Der Feind hat nicht angegriffen.“
Kirchenglocken läuteten gegen den prasselnden Regen an. Jubel und Hochrufe drangen vom Hof herauf.
„Lasst den Männern Bier ausschenken“, krächzte er. „Sie sollen auf meine Genesung trinken.“
Dann wollte er nur noch schlafen. Wo war Wiebke?
Der Trubel der nächsten Tage war unbeschreiblich. Delegationen der Verbündeten wurden vorgelassen. Im Bett sitzend empfing der König alle, die sich von seiner Genesung überzeugen wollten.
Auch Tilly war benachrichtigt worden. Tatsächlich hatte ihn das Gerücht vom wahrscheinlich bevorstehenden Tod des Dänenkönigs zum Vormarsch ermuntert, doch die jüngsten Nachrichten aus Hameln und der anhaltende Mangel an Nahrungsmitteln trieben ihn wieder
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