Das Königsmal
transportierten die Soldaten einen Toten. Nur ab und an hob sich der Brustkorb zu einem schwachen Atemzug, die letzte Verbindung des Königs mit der Welt.
„Atmet, Majestät. Atmet“, flüsterte Wiebke ihm beschwörend zu. „Haltet Euch fest an dieser Welt.“ Sie wollte seine Hand nehmen, ihm Halt geben, damit ihn der Strudel des Todes nicht mit sich fortreißen konnte, doch der Leibarzt des Königs drängte sie zur Seite.
„Die Treppe hinauf, aber mit Vorsicht“, wies Henrik Fueren die Männer an, und so wand sich der Zug bis in das Schlafgemach, wo man Christian behutsam auf das reich verzierte Prunkbett umlagerte.
Für einen Moment herrschte ratloses Schweigen. Kirsten Munk hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und stand am Fenster. General Fuchs, Buchwald und Pogwisch hatten sich am Fußende des Bettes postiert. Sie schwiegen – fassungslos. Pogwisch umklammerte die gedrechselten Streben des Bettes so fest, dass die Knöchel seiner Hände weiß hervortraten.
Schließlich trat Fueren ans Bett und durchbrach das lähmende Entsetzen. Gemeinsam mit dem Kammerdiener und den Zofen entkleidete er den König und untersuchte ihn. Christian hatte mehrere gebrochene Rippen und Quetschungen im Brustbereich, die sich dunkelrot abzeichneten. Sonst schien ihm nichts zu fehlen. Der Arzt ließ ein Leinentuch in Streifen reißen und legte dem König einen strammen Verband um den Brustkorb an.
„Seine Majestät muss gerade und ruhig liegen. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen und seine Seele ist ins Taumeln geraten. Deshalb findet er nicht zu uns. Doch sein Herz und sein Wille sind stark. Ich werde ihn später zu Ader lassen, um sein Blut zu reinigen. Das wird ihn kräftigen.“
Die Umstehenden hatten seinen Worten gebannt gelauscht. Der hagere Fueren war seit vielen Jahren in den Diensten des Königs, er kannte Christian und alle Zipperlein, die seinen stolzen Körper von Zeit zu Zeit befielen. Die Schmerzen im Magen, wenn die Männer maßlos gezecht und getafelt hatten. Das Ziehen in der Schulter nach einem langen Ritt.
Fueren hatte sein Handwerk bei den besten Ärzten im Pariser Hôtel Dieu erlernt. Das Hospital war für seine ausgezeichnete Ausbildung von Wundärzten bekannt. Einige der besten Feldchirurgen waren dort in die Lehre gegangen und mit neuem Wissen zurückgekehrt. So behandelten sie die Wunden der Soldaten nicht mehr mit siedend heißem Öl, um dem Wundbrand vorzubeugen. Diese schmerzende Prozedur zeigte häufig überhaupt keine Wirkung, sondern führte vielmehr zu Entzündungen und Fieber. Stattdessen vertraute die Pariser Zunft auf eine Salbe aus frischem Eigelb, Oleum rossatum und Terpentin, die weitaus bessere Ergebnisse erzielte.
Doch bei einer taumelnden Seele schien auch der erfahrene Arzt zu verzagen. Ein Aderlass sollte den König aus seiner tiefen Bewusstlosigkeit wecken? Verstohlen blickten sich die Männer an.
„Wird Seine Majestät wieder gesund?“, flüsterte die Gräfin in die Stille hinein.
„Ich verbinde ihn, Gott heilt ihn“, antwortete Fueren und zog sich mit diesem demütigen Verweis auf die göttliche Allmacht und einer schnellen Verbeugung zurück. „Ihr solltet an seiner Seite wachen, Gräfin und ich werde stündlich nach Seiner Majestät sehen.“
„Das Kabinett muss zusammentreten“, sagte General Fuchs, als der Arzt den Raum verlassen hatte. „Wenn der Feind von diesem Unglück erfährt, wird er unsere Verwirrung ausnutzen und einen Überfall versuchen. Außerdem müssen wir den Kronprinzen benachrichtigen. Ich schlage vor, dass wir uns in meinem Quartier treffen und die weiteren Schritte beratschlagen.“
Leise und mit einem letzten besorgten Blick auf den König verabschiedeten sich auch die Männer. Sie hatten vereinbart, stündlich einen Kurier zu schicken, um sich über Christians Zustand zu informieren. Zurück blieben die Gräfin und ihre Zofen – kühl und starr die eine, aufgewühlt und den Tränen nahe die anderen.
„Ich kann das nicht“, sagte Kirsten Munk, als die Frauen allein am Bett standen. „Ich kann hier nicht wachen und Stunde um Stunde auf einen leblosen Körper starren, der daliegt wie ein gestrandeter Fisch und nach Luft schnappt. Ich kann dieses Elend nicht sehen.“
Sie nickte Johanna zu und drehte sich um.
Johanna drückte Wiebkes Hand, sprechen konnte sie nicht. Dann folgte sie ihrer Herrin. Wiebke verstand. Als auch die Gräfin und Johanna den Raum verlassen hatten, wusste sie, dass man das Schicksal des Königs in ihre
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