Das Königsmal
kommen lassen, um die in mir gärende Wut zu vertreiben.“
Zufrieden blickte sie auf die wenigen Zeilen und fühlte sich sofort besser. Sie würde den Rheingrafen in ein Jagdhäuschen, weit hinten im Park, bestellen, wo sie sich schon einige Male am Nachmittag getroffen hatten und wo keine Menschenseele sie vermutete. Offiziell würde sie mit ihrer Hofdame einen Ausritt unternehmen und die arme Johanna unweit der Hütte mit den Pferden warten lassen. Dort konnte diese ihren finsteren Gedanken – das Seelenheil ihrer Herrin betreffend – nachhängen.
Wiebke hingegen sollte von ihren amourösen Eskapaden ausgeschlossen bleiben. Der Eklat auf der Steinburg und der Unfall des Königs in Hameln hatten sie gefährlich nahe an Christian heranrücken lassen, der in der kleinen Wäscherin mehr als eine Zofe sah. Sie hatte den Eindruck, dass er Wiebke zu seinem persönlichen Schutzengel erkoren hatte, auch wenn diese wohl noch nichts davon ahnte.
Natürlich hatte Kirsten das Schmuckstück bei ihr gesehen, das plötzlich in Christians Sammlung fehlte. Und ebenso sah sie seine Blicke, mit denen er das Mädchen bedachte, sein Lächeln, das er ihm schenkte, wenn es den Raum betrat.
Er hat ein neues Idol für sich gefunden, dachte sie bei sich. Ein schönes Bild, in das er alle seine Wünsche und Hoffnungen projizieren konnte. Ein Weib, das sich so verhielt, wie ein Mann es sich wünschte – gefügig und aufopfernd. Und das dazu noch jung genug war, dass es ihm wie ein verheißungsvolles Versprechen auf die Zukunft, seine Zukunft, erscheinen mochte.
Kirsten hatte keine Vorstellung davon, ob auch Wiebke all diese Dinge sah, die da in einer geheimnisvollen Zwischenwelt vor sich hin gärten. Die darauf warteten, entdeckt zu werden. Sie beobachtete ihre Zofe oft, sah, wie sie sich entwickelt hatte. Schon lange war sie nicht mehr das Bauernmädchen, sie hatte Haltung gewonnen und eine sanfte Gestik entwickelt. Von den abgearbeiteten Händen war nichts mehr zu sehen, und an die Stelle der sonnenverbrannten Haut war ein feiner, weißer Teint getreten, den sie sich nicht pudern musste. Sie hatte gelernt, ihr Haar sorgfältig aufzustecken, und den abgelegten Kleidern ihrer Herrin hauchte sie neue Anmut ein. Ihr Busen musste prall und herrlich sein, Bauch und Hüften weich und weiblich, und ihr kleiner, aufgeworfener Mund entblößte beim Lachen eine Reihe entzückend weißer Zähne, in die weder Fäulnis noch Schwangerschaften ein Loch gerissen hatten.
Ihre Schönheit ist unschuldig, sie drängt sich nicht auf und schüchtert nicht ein, analysierte Kirsten nüchtern den Liebreiz ihrer Zofe. Sie versuchte, Wiebke mit den Augen ihres Mannes zu sehen. Seine Schwärmerei für die kleine Wäscherin setzte vielleicht neuen Mut in ihm frei. Ihr sanftes Lächeln machte ihn stark und ließ eine Kraft in ihm aufspringen wie einen Jagdhund, der eine frische Fährte witterte.
Natürlich war sie eifersüchtig auf dieses frische Strahlen, das nur ein sehr junges Mädchen so vollkommen erscheinen ließ und das kein Schönheitselixier, kein Puder mehr in ihr Gesicht würde zaubern können. Doch Christian sollte sich ruhig schwindelig an Wiebke sehen. Der Gedanke, dass er ihr womöglich in die Dachkammer nachstieg, schockierte sie nicht. Im Gegenteil: Sollte er sich doch abarbeiten an der Kleinen – und an seinem großen Krieg. Dann konnte sie selbst ungestört ihren Weg gehen – angetrieben von ihren eigenen Gelüsten und doch ausgestattet mit all den lieb gewonnenen Bequemlichkeiten des königlichen Lebens.
Sie lächelte, denn sie wusste, dass Wiebke ihr nicht gefährlich werden konnte. Vor einiger Zeit hatte sie ihren Spion in das Mädchenzimmer geschickt. Der Mann war mit einem seltsamen Paket zurückgekehrt – zwei Schmucksteine, in die fremde Zeichen eingraviert waren. War es Zauberei? Schwarze Magie? Sollte sich das Mädchen zu gut mit dem König stellen, wollte sie ihren Fund präsentieren. Und auf dunkle Mächte ließ sich selbst Christian nicht ein.
Kirsten nahm eine der wundervollen Tänzerstatuetten zur Hand und küsste sie an ihrer delikatesten Stelle. Hasste sie Christian wirklich oder war er ihr nicht vielmehr gleichgültig, nicht mehr als die notwendige Quelle ihres Wohlstands? Plötzlich wusste sie es nicht mehr. Sie wusste nur eines: Besser war ihr Leben nie gewesen.
Nachdem seine Frau aufgesprungen war, schämte sich Christian. Er schämte sich für die Unbeherrschtheit seiner Worte, die er ihr entgegengeschleudert hatte.
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