Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
Vom Netzwerk:
dachte nicht weiter.
    Wie viele Jahre waren sie nun durch den Norden Deutschlands marschiert, in langsamem Tempo, von Lagerplatz zu Lagerplatz, von Scharmützel zu Scharmützel? Auf den Karten zeichnete sich ihr Weg wie ein leichtfüßiger, schwungvoller Stoß in das Deutsche Reich hinein ab. Aber das Leben der Soldaten war voller entsetzlicher Mühen gewesen. Ein ständiger Kampf – weniger gegen den katholischen Feind als vielmehr gegen die Umstände. Gegen Müdigkeit, Hunger und Krankheit.
    Wenn die Männer einen Sieg errungen hatten, so war dieser oft nicht mehr gewesen als die Freude über ein trockenes Nachtlager, ein Stück gebratenes Fleisch, Bier oder das Glück, sich von Fieber, Auswurf, Husten, Pestbeulen oder anderen Widerwärtigkeiten erholen zu können. Doch noch nie hatten sie der geballten Feindesmacht direkt gegenübergestanden. Christian hörte, wie die Pferde in Tillys Truppen nervös wieherten. Auch sein Hengst tänzelte unruhig hin und her – das Tier musste die unglaubliche Spannung spüren, die ihn beherrschte. Fast meinte er, dass seine Haut durch das pulsierende Blut glühte. Alle Härchen auf seinem Körper hatten sich aufgerichtet, das Herz schlug ihm bis in die Kehle. Er schluckte und griff nach seiner heiligen Locke, um die Erregung zu bezwingen.
    Nachdem Wallenstein Anfang August die Verfolgung Mansfelds aufgenommen hatte und Tilly allein gegen seine Truppen stand, hatte er den Angriff beschlossen. Die Aufteilung der feindlichen Streitkräfte gab den Ausschlag. Die Gelegenheit, auf die er den ganzen Sommer, den ganzen Krieg über gewartet hatte, schien gekommen. Das Kriegsglück war endlich auf seiner Seite.
    An einem heißen Augustmorgen, an dem die Schwalben hoch über ihren Köpfen segelten und nur als winzige Punkte am tiefblauen Himmel auszumachen waren, hatte Christian die Zelte vor Wolfenbüttel abbrechen lassen und seine Truppen ins Feld befohlen. Ein schwitzender, lärmender Tross setzte sich unter den Kommandos der Befehlshaber und dem Geschrei der Frauen, die nach ihren Kindern suchten, in Bewegung. Wie immer wurden im Trubel des hastigen Aufbruchs Familien auseinandergerissen, die im Durcheinander nicht mehr zueinanderfanden. Jedes schreiende Kind, das allein am Straßenrand saß, rührte sein Herz, aber er musste auf Gott vertrauen. Darauf, dass er sich ihrer unschuldigen Seelen erbarmte.
    Christian hatte sein Heer südwärts nach Thüringen geführt, mit dem Plan, weiter in die Mitte Deutschlands vorzustoßen. Doch als Tilly von diesem starken Heer erfahren hatte, das sich rumpelnd aus seiner Deckung wagte, hatte er Wallenstein einen Boten nachge- schickt und ihn um Verstärkung gebeten. Achttausend Mann aus der Nachhut des Friedländers waren nach Norden umgekehrt – bereit, dem Dänenkönig entgegenzutreten.
    Der Vorteil des Überraschungsmomentes war dahin. Zudem hatte Christian zu spät erfahren, dass Tilly ebenfalls gegen ihn marschierte, und das auch noch mit der Verstärkung von Wallensteins Männern. Ein abgefangener Späher, ein lahmendes Pferd, ein missverstandener Kurier – niemand wusste genau, wie es zu diesem entsetzlichen Fehler gekommen war.
    Ein hungriger Drache, geformt aus Zehntausenden Männern, schob sich ihm unaufhaltsam entgegen. Begierig, sie alle zu verschlingen. Christian blieb nichts anderes übrig, als kehrtzumachen, um sich erneut in das befestigte Wolfenbüttel zurückzuziehen.
    Doch Tillys Truppen rückten schnell voran. Zu schnell. In den vergangenen Tagen hatte die Nachhut seines Heeres die Straße bereits gegen den heranrückenden Feind verteidigen müssen – unter geringen Verlusten. Heute jedoch hatte Christian eingesehen, dass er nicht mehr hoffen konnte, die restlichen Meilen nach Wolfenbüttel ungefährdet zurückzulegen.
    „Die Kaiserlichen haben uns fast erreicht“, hatte ihm Buchwald am Morgen gemeldet. „Die offene Feldschlacht ist unausweichlich.“
    Er hatte Stellung gegen Tillys Soldaten bezogen – quer über die Straße am Rande des befestigten Dörfchens Lutter. Der kleine Ort erschien ihm günstig, er wurde an allen Seiten von bewaldeten Hügelrücken umschlossen und war schwer einzusehen. Im Süden wirkte das Harzgebirge wie ein natürlicher Wall gegen den Feind.
    Jetzt hatte Christian seine engsten Vertrauten auf einer kleinen Anhöhe um sich geschart. Die Männer in ihren Rüstungen blickten sich um, sammelten sich vor dem Angriff. Kleinere Wälder und Hügel, wo sie ihre Kanonen und Musketiere verstecken konnten,

Weitere Kostenlose Bücher