Das Königsmal
eheliche Treue nichts mehr als ein hohles Versprechen ist.“
Kirsten spürte, wie sich Zorn über die Zofe in ihr zu regen begann. Mit einer brüsken Bewegung schüttelte sie die Hand ab, die noch immer auf ihrem Rücken lag. Warum kann das Mädchen mich nicht einfach so unterstützen, wie es seine Aufgabe ist, dachte sie. Warum hält es seine Gedanken nicht im Zaum, seine bösen Ahnungen. Warum will es mir meinen schönen Plan verderben? Mir mein Leben zerreden. Sie rückte von Wiebke ab und stand auf. Auf einen Stuhl gestützt, begann sie aus dem Rock zu steigen. Auch die Zofe war aufgestanden und ging ihr nun zur Hand.
„Was hat dich der Rheingraf zu interessieren?“, zischte sie das Mädchen an.
Erstaunt über den plötzlichen Stimmungswandel blickte Wiebke auf. Ihre Bewegungen stockten, bevor sie ihren geschäftigen Rhythmus wiederfanden und alle Tröstlichkeit verloren.
Auch Kirsten selbst war überrascht, wie schnell die eben noch vertraute Stimmung wieder in kühle Distanz umgeschlagen war.
„Ich allein entscheide über mein Leben. Und ich allein entscheide darüber, wen ich begehre. Wenn dir das nicht passt, musst du gehen. Ich halte dich nicht. Aber sei dir gewiss, wenn nur ein Wort über diese Plauderei nach außen dringt, werde ich dein Leben in eine Hölle verwandeln. Und jetzt geh und such mir ein passendes Kleid.“
Wiebke erwiderte nichts. Mit dem Rock im Arm drehte sie sich um und verließ den Raum. Einen Moment noch blickte Kirsten ihr nach. Dann spürte sie das Vogelwesen und schlug sich mit der flachen Hand auf den Bauch. Es war eine Bewegung, die ihr schon in Fleisch und Blut übergegangen war und die sie nicht einmal mehr bemerkte.
Wieder tat sich der Abgrund der Lüge vor ihr auf. Das Geständnis ihrer Herrin lastete auf ihrem Gewissen und legte sich über alle ihre Gedanken.
Während Wiebke in der Wäschekammer stand und in einer der Truhen nach einem passenden Kleid für die Gräfin suchte, dachte sie über das Vorhaben ihrer Herrin nach. Konnte die Gräfin das heranwachsende Kind vor aller Welt verbergen? Und war das Verschweigen nicht auch eine Lüge? Eine wortlose Lüge, die auch sie betraf, da sie um die Existenz der kleinen Seele wusste?
Wiebke grübelte. Ihre Hände strichen über Brokat- und Seidenstoffe. Sie atmete den Duft von Lavendel ein, der fest in kleinen Stoffsäckchen zwischen den Roben lag. Sie ahnte, dass ihr niemand bei diesem inneren Kampf beistehen konnte. Nicht einmal Johanna, die so vieles mit ihr teilte.
Schließlich zerrte sie ein Kleid aus der schweren Eichentruhe hervor, das so weit geschnitten war, dass es Kirsten passen musste. Versonnen blickte sie auf den runden Halsausschnitt mit seinem weißen, kostbar bestickten Kragen. Tief in Gedanken versunken, hörte sie nicht, dass sich die Tür zur Kammer leise geöffnet hatte und Ellen Marsvin in den Raum getreten war. Als die Gutsherrin plötzlich hinter ihr stand, zuckte sie zusammen.
„Sorgen?“
„Nein, nein, Madame. Ich träume wohl. Verzeiht, Eure Tochter wartet auf mich.“
„Was will sie denn mit diesem Kleid? Wollte Kirsten es nicht ändern lassen?“
Ellen Marsvin griff nach dem Stoff und hielt ihn prüfend von sich. Bahnen aus dunkelgrünem Samt mit seidenen Streifen darin entfalteten ihre üppige Pracht. Dann sank sie plötzlich auf eine der Truhen und blickte Wiebke bestürzt an. „Ist sie wieder schwanger?“
Wiebke schwieg. Ihr Herz klopfte und das Blut stieg ihr in die Wangen. Was sollte sie sagen? „Sprich deshalb immer nur die Wahrheit“, hallten die Worte der Zigeunerin in ihrem Kopf – verzerrt, wie aus einer anderen Zeit kommend.
Die Gutsherrin bemerkte ihre Verlegenheit. „Du musst nicht antworten, Wiebke. Du bist ihre Zofe. Aber warum hat sie mir denn nichts gesagt?“ Für einen Moment schwieg sie pikiert, bis sich eine schreckliche Ahnung ihren Weg bahnte. „Es ist nicht das Kind des Königs“, flüsterte sie entsetzt und ihre Hände krallten sich in den Stoff. Dann schleuderte sie das Kleid wutentbrannt quer durch den Raum. Wie ein Teppich aus Moos legte es sich über das schimmernde Parkett. „Sie trägt einen Bastard unter ihrem treulosen, selbst- süchtigen Herzen.“ Ellen Marsvin lachte auf. Es war ein schreckliches Lachen, das wie das Heulen eines Hundes klang.
Plötzlich stand auch Kirsten im Raum. Unter ihrem Leinenhemd zeichnete sich ab, was nicht sein durfte.
Ellen Marsvin sprang auf, und bevor Wiebke nur ahnen konnte, was kam, schlug sie ihrer
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