Das Königsmal
wollte. Schon gar nicht vor Wiebke, die so stark war. Die doch das Geschöpf ihres Mannes war. Aber dieses Gefühl unendlicher Traurigkeit war einfach übermächtig. Sie wollte den Kummer über dieses Balg herausschluchzen, zerfließen, selbst zu einem kleinen Kind werden, Schutz suchen, sich verkriechen und Hände auf sich spüren, die frei waren von Begehrlichkeiten. Sie drehte sich um, lief zum Fenster und verhedderte sich in ihren Rock, der ihr über die Hüften gerutscht war. Stolpernd fiel sie auf die Knie, und der Schmerz ließ die Tränen hervorschießen, die sie bis gerade noch hatte zurückhalten können. Es ist alles vergebens, dachte sie. Alles vergebens. Dann überließ sie sich ihrem Kummer und schlug die Hände vors Gesicht.
Ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Tränen strömten über ihre Wangen und sammelten sich zwischen den Brüsten, wo ihr Kummer zu klebrigem Salz erstarrte. In ihrer Verzweiflung achtete sie nicht auf den Trost ihrer Zofe, die sich leise neben sie gekniet hatte und beruhigend über ihren Rücken strich. Doch Wiebke hielt durch, und plötzlich fühlte sich Kirsten aufgefangen. Wie ein wärmender Umhang legte sich die Erleichterung um sie. Ein wohliges Gefühl durchströmte sie, das sie sonst nur beim Anblick eines kostbaren Schmuckstücks verspürte – oder in einer erfüllten Liebesnacht mit dem Rheingrafen. Sie genoss die Berührung und die kleinen, einfachen Worte, die Wiebke flüsterte.
„Ich bin da, Madame. Bin da. Doch da. Da …“ Und dann flossen die Worte in einer einzigen, sanften Melodie zusammen.
„Weiß der Vater von dem Kind?“, hörte sie die Zofe nach einer Ewigkeit fragen, in der sie sich behaglich und aufgehoben gefühlt hatte.
Und um diese wunderbare Melodie des Trostes nicht zu unterbrechen, antwortete sie ganz selbstverständlich: „Nein, der Rheingraf weiß nichts. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen, seitdem er mit dem König abgereist ist. Aber ich brauche einen Vater für dieses Kind.“
Plötzlich war es heraus. Das schreckliche Geheimnis schwebte leicht wie eine Seifenblase im Raum. Und die Angst wich von ihr. Löste sich einfach auf und ließ nicht mehr als eine vage Erinnerung zurück.
Wiebke schwieg. Dann sagte sie: „Der König ist ein wunderbarer Mann, aber Ihr missbraucht sein Vertrauen und weist seine Liebe zurück. Wie wollt Ihr ihm dieses Kind erklären? Es kann nicht aus dem Nichts gekommen sein.“
„Er muss glauben, es sei von ihm.“
Die Zofe schüttelte den Kopf. „Ihr dürft den König nicht länger belügen, Madame“, warnte sie und reichte ihr ein mit verschwenderischem Spitzenrand gesäumtes Taschentuch. „Die Schwangerschaft ist schon zu weit fortgeschritten. Ihr verstrickt Euch in eine Welt, aus der Ihr nicht mehr zurückfinden werdet.“
„Dann muss ich ihm das Kind verheimlichen“, stieß Kirsten trotzig hervor und setzte sich auf. Sie zog den Rock wieder über den Bauch und faltete die Hände darüber. Einen Moment dachte sie über ihren Plan nach. „Die Mode mit ihren weit fallenden Röcken gibt mir noch zwei, drei Monate Ruhe, bevor mein Zustand nicht mehr zu übersehen sein wird. Dann muss ich mich zurückziehen, vielleicht auf eins von Mutters Gütern. Dort kann ich das Kind bekommen und nach einigen Wochen an den Hof zurückkehren.“
Ja, das war der einzig mögliche Weg – und durchaus üblich. Viele Damen des Adels, deren Männer durch diesen großen Krieg irrten, kamen in die Verlegenheit eines unerklärlichen Umstandes, der einen kurzfristigen Rückzug aus der Gesellschaft erforderte. Umso strahlender war danach die Rückkehr in das höfische Leben.
„Ihr dürft den König nicht belügen, Madame“, beharrte Wiebke.
„Ich belüge ihn doch nicht. Ich … ich spreche nicht über dieses Kind, also kann ich auch nicht lügen. Der König ist in diplomatischer Mission unterwegs und beschäftigt sich mehr mit dem Schwedenkönig als mit seiner Frau. Bis es ihm wieder einfällt, an mich zu denken, ist dieses Balg auf der Welt. Ich lege es seiner Amme an die Brust und bin frei.“
Wiebke schaute sie zweifelnd an. „Madame wissen, dass ich nicht lügen werde?“, fragte sie nach einer Weile. „Ich werde nichts anderes für Euch tun können, als Euch zu dienen. Ich werde schweigen, aber ich werde mich nicht zur Handlangerin Eurer Pläne machen. Und als Eure besorgte Dienerin rate ich Euch, den Rheingrafen nicht mehr zu empfangen. Im Umfeld des Königs tuschelt man bereits, dass Eure
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