Das Königsmal
Stunde. Sollte der König etwa doch nicht kommen?
Plötzlich flogen Enten auf, die im Dünengras gedöst hatten. Schnatternd versuchten die Vögel, an Höhe zu gewinnen und einer Gefahr zu entkommen. Eine Schar schwerfälliger Körper, die dem Horizont entgegenzog. Christians Kopf flog herum, seine Hand tastete nach dem Schwert. Auch die anderen Männer fuhren zusammen.
„Es ist der Schwede“, gellte der Ruf der Wachtposten zu ihnen. Dann drang das Geräusch von Pferdehufen, die sich mühsam durch den Sand arbeiteten, auch an ihre Ohren.
An der Spitze ritt Gustav Adolf, groß, stattlich, mit breiten Schultern und männlich-herben Zügen. Sein rotblondes Haar war gegen die Mode kurz geschoren, ein Spitzbart rahmte die vollen Lippen. Selbst im schwachen morgendlichen Licht leuchteten die Haare und das Gesicht glühte. Kein Wunder, dass die italienischen Söldner ihren Feldherrn il re d’oro nennen, durchfuhr es Christian. Der schwedische König schien tatsächlich von goldenem Glanz umgeben zu sein.
Eine Spur von Neid durchzuckte ihn. Der robuste Körper des etliche Jahre jüngeren Schwedenkönigs strahlte eine ungeheure Kraft aus. Christian sah vor seinem inneren Auge einen sehnigen Löwen, in sich ruhend, doch bereit, dem Feind mit einem Sprung nachzusetzen. Man sagte, Gustav Adolf könne es mit dem Stärksten seiner Männer aufnehmen. Er teilte ihr Leben, schwitzte, fror und hungerte mit den Soldaten und saß bisweilen Tag und Nacht ohne Unterbrechung im Sattel. Blut, Schweiß, Tränen und Morast ließen ihn ungerührt, ja, seine Stiefel, so hieß es, hatten bis über die Knöchel im Unglück gewatet.
Doch ebenso erkannte man in Haltung und Gestik auch das höfische Erbe, das Rüstzeug seines strahlenden Charakters. Wie Christian war Gustav Adolf in seiner Jugend streng erzogen worden. Neben Literatur, Geschichte, Naturwissenschaften und Militärwesen hatte sein Vater, König Karl IX., sorgfältig auf die sprachliche Ausbildung des jungen Prinzen geachtet. Deutsch sprach und schrieb er von Kindesbeinen an, darüber hinaus beherrschte er Latein, Griechisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch. Gustav Adolf verstand zudem Spanisch und Englisch, Russisch und Polnisch.
Nach einer Krankheit des Vaters hatte der Schwede bereits mit fünfzehn Jahren viele der Regierungsgeschäfte übernommen. Nur ein Jahr später hatte er die schwedische Armee gegen Dänemark geführt und mit dreiundzwanzig Jahren selbst den Thron bestiegen. Schon damals war er als Ankläger gegen alles Katholische vor die Stände getreten.
„Mit ihrer Inquisition haben diese Leute weder Hoch noch Niedrig, weder Weib noch Mann verschont“, hatte er in einer viel beachteten Rede gegen die Katholiken gezürnt. „Ihre Verbrennungen in Spanien sind grässlich gewesen. Der heilige Mord, wie ihn die Papisten nennen, den die Ratgeber des polnischen Königs in Paris in Frankreich angestiftet und dann in die meisten Teile des Königreichs getragen haben, lehrt uns, wie tyrannisch die Jesuiten und jene Könige, die auf ihren Rat hören, gegen unsere Religion verfahren.“
Jetzt mussten sie die Chance nutzen, ihre Kräfte und Empörung zu bündeln und die Kaiserlichen gemeinsam zurückdrängen. Eine kraftvolle Allianz, ein Aufbäumen des protestantischen Glaubens gegen das kaiserliche Joch. Doch ging es ihnen allein um den rechten Glauben?
Während sich Gustav Adolf vom Pferd schwang und die Zügel seinem Rittmeister in die Hand drückte, musste Christian an die Worte seines Vaters denken. Die Einführung der Reformation in Schweden war in erster Linie eine wirtschaftliche und politische Notwendigkeit zur Sicherung der Wasa-Dynastie gewesen, hatte dieser ihm in seiner Jugend erklärt. Eigentlich ein armes Land mit wenigen kleinen Städten und dürftigem Handel, war es dem großen Gustav Wasa Anfang des 16. Jahrhunderts gelungen, die von der katholischen Geistlichkeit unterstützte Monarchie zu stürzen und sich selbst die Krone aufzusetzen. Seitdem war das ganze schwedische Staatswesen auf Eroberungspolitik ausgerichtet.
Gustav Adolf selbst hatte zu Beginn seiner Regierung den revoltierenden Adel im Lande zur Ruhe bringen und ihm eine privilegierte Stellung einräumen müssen. Der Preis dafür war hoch: Um das einfache Volk zu befriedigen, musste der König die Eroberungskriege seiner Vorfahren fortsetzen. Besonders die Städte hatten ein großes Interesse an einer schwedischen Vorherrschaft auf und an der Ostsee. Ihre Bevölkerung war von
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