Das Kommando
Helden.
Ganz wie sie es von ihrem Vorgänger Thomas Stansfield gelernt hatte, unterdrückte sie den Wunsch, Rapp anzurufen und ihm eine Standpauke zu halten. Es war besser, ihre Wut abkühlen und ihn eine Weile im eigenen Saft schmoren zu lassen. Warum eigentlich nicht auf dem ganzen zehntausend Kilometer langen Rückflug?
Sie würde alles der einzigen Frau überlassen, an der ihm wirklich lag. Ganz gleich, wie gut Mitch war, der kleine Vulkan, den er geheiratet hatte, würde ihm so viel Feuer unter dem Hintern machen wie noch niemand zuvor. Um das Verhör mitzuerleben, dem Anna ihn unterziehen würde, könnte es sich fast lohnen, Wanzen in seinem Haus anbringen zu lassen. Mit nichts, was er sagte oder tat, würde er sich aus der Sache herauswinden können. Die Schusswunde ließe sich höchstens verheimlichen, wenn er sich einen ganzen Monat lang nicht auszog. Dafür, dass er sich nicht damit herausreden konnte, es gehe um Fragen nationaler Sicherheit, wollte Kennedy persönlich sorgen.
Um den erst am Vortag mit Anna geschlossenen Frieden nicht zu gefährden, rief sie kurz vor sechs Uhr bei ihr an und teilte ihr den erfolgreichen Abschluss des Unternehmens und Mitchs unmittelbar bevorstehende Heimkehr mit. Anna dankte ihr hocherfreut und voller Überschwang für den Anruf, worauf sie sich bei Anna für das Verständnis bedankte, das sie aufgebracht hatte, und erklärte, sie dürfe jederzeit anrufen, wenn sie Fragen habe.
Das herzliche Einvernehmen zwischen seiner Vorgesetzten und seiner Frau würde Rapp, wenn er erst einmal davon erfuhr, reichlich Stoff zum Grübeln geben, denn er selbst neigte dazu, alles für sich zu behalten und in passende Schubladen einzuordnen. Dieses Bewusstsein befriedigte Kennedy ebenso wie die Vermutung, dass ihm die Knie schlotterten, wenn er daran dachte, wie er seiner Frau erklären sollte, was geschehen war.
Als sie im zweiten Stock des Weißen Hauses den Aufzug verließ, war sie bereit zu tun, was Präsidentenberater taten, seit es Präsidenten gab: die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Das an sich bereitete ihr keine Schwierigkeiten, doch ärgerte es sie, dass einer ihrer verlässlichsten und treuesten Mitarbeiter sie in die peinliche Lage gebracht hatte, Tatsachen verdrehen zu müssen. Die Alternative wäre gewesen, dem Präsidenten reinen Wein einzuschenken, doch hatte sie im Augenblick nicht die Kraft, sich seinen Vorwürfen zu stellen.
Das Ergebnis des Unternehmens entsprach genau den Erwartungen des Präsidenten. Die Familie Andersen war in Sicherheit, die Vereinigten Staaten hatten keine Opfer zu beklagen, und die Terroristen hatten eine unmissverständliche Botschaft bekommen. Ganz wie für Rapp zählte für ihn ausschließlich das Ergebnis. Die Art und Weise, wie es erzielt wurde, interessierte ihn nur am Rande.
Sie betrat den Fitnessraum und ging auf den Präsidenten zu, wozu sie einer im Weg stehenden Drückbank ausweichen musste. Er trainierte gerade mit schweißüberströmtem Gesicht auf dem Stepper und sah dabei auf einen der drei Fernsehbildschirme, die vor ihm an der Wand hingen. Da er Kennedy beim Eintreten darin gespiegelt gesehen hatte, wandte er sich zu ihr um und fragte unwillig: »Was, zum Teufel, ist da gestern Abend in Israel passiert?«
Ihre Verwirrung dauerte nur einen kurzen Augenblick. Auf dem Weg von Langley herüber war sie die für den Präsidenten bestimmten Informationen durchgegangen, ein von der CIA zusammengestelltes Dossier höchster Geheimhaltungsstufe, das ihn und seine wichtigsten Berater in Fragen der nationalen Sicherheit über alles auf dem Laufenden hielt, was in der Welt geschah.
»Ich habe bereits Ben Freidmans Büro angerufen, er hat sich aber noch nicht gemeldet.«
Das Gesicht des Präsidenten verfinsterte sich bei der bloßen Nennung dieses Namens. Er kannte den Direktor des Mossad recht gut und hielt ihn für einen ausgesprochenen Widerling. Wäre nicht Kennedy gewesen, er hätte den israelischen Premierminister längst aufgefordert, den Kerl auf die Straße zu setzen.
Jetzt wischte er sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und knurrte: »Es regt mich nach wie vor fürchterlich auf, dass er das Amt hat.«
Sofort bedauerte sie, Freidman erwähnt zu haben. Es war bekannt, dass er im vorigen Jahr einen der gefährlichsten politischen Gegner des Präsidenten mit Geheimdienstinformationen versorgt und ihn auch auf andere Weise unterstützt hatte. Kennedy hatte ihr ganzes Geschick aufbringen müssen, Hayes davon zu
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