Das Kommando
war damit ganz gut zurechtgekommen. Er zog eine Trainingshose und ein dickes baumwollenes T-Shirt über und ging nach unten in die Küche.
Anna dürfte jetzt auf dem Heimweg von der Arbeit sein. Hoffentlich hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie miteinander reden konnten, ohne wie in der vergangenen Nacht erneut aneinander zu geraten. Er war nicht in der Stimmung, sich noch mehr Gekreisch anzuhören. Den ganzen Tag über hatte er überlegt, wie er sich hätte verhalten sollen. Er war bereit zuzugeben, dass er die Sache versiebt hatte, aber völlig im Unrecht war er seiner Ansicht nach nicht. Anna hatte einen seiner Einsätze aus nächster Nähe miterlebt und gesehen, dass es dabei wild zugehen konnte. Also hatte sie genau gewusst, wen sie heiratete. Ganz davon abgesehen, waren ihr Vater und zwei ihrer Brüder bei der Polizei. Es waren für die CIA äußerst erfreuliche Tage gewesen, und der Einsatz auf den Philippinen war ein voller Erfolg: Die Familie Anderson befand sich in Sicherheit und würde demnächst nach Hause zurückkehren, der Tod der beiden SEALs war gerächt, General Moro war ausgeschaltet, die Abu Sayyaf hatten eine empfindliche Niederlage erlitten, und Generalleutnant Rizal hatte gebeten, die CIA möge ihm beim Aufspüren weiterer Verräter behilflich sein.
Auf einem anderen Gebiet aber stand es weniger gut. Die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern nahmen ein Ausmaß an, das man nicht mehr hinnehmen konnte. Immer mehr Stimmen in der UNO verlangten eine Entsendung unabhängiger Inspektoren zur Untersuchung dessen, was bereits als ›Massaker von Hebron‹ bezeichnet wurde. Nahezu stündlich brachte das Fernsehen neue Bilder, die zeigten, wie winzige Leichen aus den Trümmern geborgen wurden.
Sogar verschiedene jüdische Gruppen protestierten empört gegen Premierminister Goldbergs unnötig hartes Vorgehen. Die Juden hatten den entsetzlichsten Völkermord in der Menschheitsgeschichte durchlitten und waren äußerst empfindlich, wenn es um die Tötung von Frauen und Kindern ging. Wegen des großen Leids, das über sie gekommen war, beanspruchten sie eine gewisse moralische Überlegenheit, und das Letzte, das viele von ihnen wollten, war, dass ihr eigenes Volk Gräueltaten beging, die unwillkürlich zum Vergleich mit denen der Nazis herausforderten.
Nach seiner Rückkehr aus dem Weißen Haus hatte Rapp auf kürzestem Weg die im Erdgeschoss des neuen Hauptquartiers untergebrachte Antiterrorzentrale der CIA aufgesucht, wo ihn Jake Turbes mit den neuesten Entwicklungen vertraut machte. Er war auf Kennedys Posten nachgerückt, als diese zur Direktorin der CIA aufgestiegen war. Sie hatte ihn mit Präsident Hayes’ Einverständnis selbst für diese Aufgabe ausersehen. Mit Einsätzen in Laos und Afghanistan war Turbes einer der wenigen in Langley, die noch wirkliche Praxiserfahrung vorweisen konnten. Vermutlich war das der Grund dafür, dass Rapp gut mit ihm auskam.
Es war erstaunlich genug, dass dieser Einzelgänger aus Louisiana die verschiedenen Säuberungen innerhalb der Organisation überstanden hatte. Die risikoscheue CIA der neunziger Jahre war mit alten Praxishasen wie Turbes ziemlich rüde umgesprungen. Er war ein lebendes Fossil, und Rapp vermutete, dass der Mann die verschiedenen personellen Veränderungen nur überlebt hatte, weil er sich bedeckt gehalten hatte und niemand Gefahr laufen wollte, von ihm angeschwärzt zu werden.
Gerüchtweise erzählte man in der CIA, einer seiner Vorgesetzten habe Turbes aus der Organisation hinauszudrängen versucht. Rapp kannte die Hintergründe der Geschichte. Dieser Mann, ein aalglatter Karrieremacher, in dessen Augen Turbes nichts als ein Kraftprotz und Revolverheld war, hatte ihm mitteilen lassen, man werde ihn mit seinen dreiundfünfzig Jahren in den vorzeitigen Ruhestand schicken; immerhin habe er bereits dreißig Dienstjahre auf dem Buckel. Als Turbes das Ansinnen höflich abgelehnt hatte, war ihm bedeutet worden, das unterliege nicht seiner Entscheidung. Daraufhin hatte er dem Vorgesetzten mitgeteilt, er wisse alles über die Frau, die dieser in Cathedral Heights aushielt, und sei gern bereit, sein Wissen sowohl der Frau des Vorgesetzten als auch den Leuten von der Gegenspionage mitzuteilen. Zwar hatte der Mann daraufhin erklärt, er wolle sich die Sache mit Turbes’ Frühpensionierung noch einmal durch den Kopf gehen lassen, doch das hatte diesem nicht genügt, und so hatte er den Vorgesetzten aufgefordert, seinen Posten binnen
Weitere Kostenlose Bücher