Das Kommando
Grund anzunehmen, dass er geglaubt haben konnte, mit der Ermordung des palästinensischen UN-Botschafters durchzukommen. Jeder klar Denkende würde zu dem Ergebnis gelangen, dass der Direktor des Mossad es auf keinen Fall darauf anlegen würde, die Amerikaner vor den Kopf zu stoßen, wenn er die Möglichkeit hatte, den Botschafter einfach dann umbringen zu lassen, wenn er sich im Westjordanland aufhielt. Jetzt machte sich Goldberg erst recht Sorgen. Ob einer seiner engsten Berater hinter den Kulissen daran arbeitete, einen Flächenbrand auszulösen?
Freidman merkte, dass Goldberg seine Unschuldsbeteuerung nicht glaubte, und sagte in schmeichlerischem Ton: »Ich versichere dir, David, dass ich völlig schuldlos bin. Ich habe bereits mit der Direktorin der CIA gesprochen. Sie vermutet, dass die Sache etwas mit einem Geschäft zu tun haben könnte, das schief gelaufen ist.« Zwar verdrehte er mit dieser Behauptung die Wahrheit ein wenig, hielt das aber in dieser Situation für gerechtfertigt.
Goldberg sah ihn misstrauisch an. »Und was für ein Geschäft soll das gewesen sein?«
»Es ist bekannt, dass Ali seine Hände von Zeit zu Zeit im Waffenhandel hatte.«
»Im Waffenhandel?«
»Ja.« Erfreut sah Freidman, dass Goldberg Hoffnung zu schöpfen schien.
»Und du sagst, die Amerikaner wussten davon?«
»Ja, wie im Übrigen auch die Geheimdienste der Franzosen, der Briten, Deutschen und Russen.«
»Ich möchte gern so bald wie möglich die Akte über Ali sehen und alles an die Amerikaner weiterleiten, was wir über ihn wissen.«
»Ist bereits in Arbeit.«
Der Premierminister fühlte sich ein wenig besser. Doch war da nach wie vor die Katastrophe von Hebron.
»Angenommen, uns gelingt der Nachweis, dass wir nichts mit Alis Tod zu tun haben, bleibt immer noch die Sache mit Hebron. Bestimmt ist es zu spät, die Folgen abzuwenden, denn angesichts der gegenwärtigen politischen Stimmung wird die UNO mit Sicherheit spätestens morgen für die Entsendung von Inspektoren stimmen.«
»Sorg dafür, dass die Amerikaner das hinauszögern.«
»Damit brauchen wir nicht zu rechnen. Nicht jetzt.«
»Dann lass die Inspektoren einfach nicht ins Land.« Diese Möglichkeit hatte Goldberg bereits selbst erwogen und mit seinen engsten politischen Beratern darüber gesprochen. Niedergeschlagen erklärte er: »Das wäre gleichbedeutend mit politischem Selbstmord. Mein Kabinett würde mich fallen lassen, und ich hätte binnen vierundzwanzig Stunden ein Misstrauensvotum am Hals.«
Zwar wusste Freidman, dass Goldberg damit Recht hatte, doch war er nicht bereit, so rasch klein beizugeben. Schweigend saßen die beiden Männer da und überlegten, ob es einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation gab. Gerade als Freidman in Gedanken an seinem Vorschlag feilte, drang von draußen ein gedämpftes Grollen herein. Sie sprangen auf und stürzten ans Fenster. Im selben Augenblick hörte man in der Ferne eine weitere Explosion. Unglücklicherweise war ihnen das Geräusch nur allzu vertraut.
Schon wenige Minuten später gingen die ersten Berichte ein. Drei Selbstmordattentäter hatten sich im Abstand von wenigen Minuten in die Luft gejagt, zwei in Westjerusalem und einer in Tel Aviv. Noch war die Zahl der Toten nicht bekannt, doch fürchtete man das Schlimmste. Spezialeinheiten waren in Marsch gesetzt worden, die sich bemühten, dafür zu sorgen, dass es zu keinen weiteren Explosionen kam. Die Märtyrerbrigaden waren auf eine neue heimtückische Variante verfallen, die darin bestand, dass ein zweiter Sprengsatz etwas später als der erste gezündet wurde und die Menschen tötete, die herbeigeeilt kamen, um den Opfern Erste Hilfe zu leisten.
Freidman fasste Goldberg am Arm und führte ihn in eine Ecke, wo ihn seine Berater nicht hören konnten.
»Das ist deine Chance.«
»Wie das?«
»Schick die Armee ins Westjordanland und verhäng über Hebron eine Ausgangssperre. Sorg dafür, dass das ganze Gelände abgeriegelt wird, und überlass mir den Rest. Bis die UN-Inspektoren eintreffen, wird es reichlich Beweise für die Existenz einer Sprengsatzfabrikation geben. Dann kannst du auf einen Schlag die Kritiker im Kabinett zum Schweigen bringen und die Vereinten Nationen beschwichtigen.«
Goldberg dachte kurz über den Vorschlag nach und nickte dann bedächtig. Es war seine einzige Möglichkeit. Es herrschte Krieg, und in einem Krieg war fast immer die Wahrheit das erste Opfer.
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Hauptthema der Besprechung im Weißen Haus war die Frage, was die
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