Das Komplott (German Edition)
bei verdächtigen Kunden keinerlei Gefühlsregung zu zeigen, und das beherrscht sie perfekt. Wahrscheinlich wundert sie sich über gar nichts mehr.
Zwanzig Minuten später stehe ich im Tresorraum einer Filiale der Jacksonville Savings Bank. Der Raum ist größer, die Schließfächer sind kleiner, die Sachbearbeiterin wirkt misstrauischer, aber ansonsten läuft alles genauso. Hinter einer verschlossenen Tür platziere ich vorsichtig eine weitere Charge Minibarren in der Kassette. Zweiunddreißig prächtige kleine Barren, die noch einmal eine halbe Million Dollar wert sind.
Ich deponiere die für heute letzte Ladung bei der dritten und letzten Bank, die nur einen halben Kilometer von der ersten entfernt ist, und suche dann eine Stunde lang nach einem Motel, wo ich direkt vor meinem Zimmer parken kann.
In einem Einkaufszentrum am westlichen Rand von Richmond schlendert Vanessa durch ein Nobelkaufhaus, bis sie die Abteilung für Damenaccessoires findet. Obwohl sie äußerlich ruhig wirkt, dreht sie fast durch, weil ihr Accord allein draußen auf dem Parkplatz steht, wo er jederzeit aufgebrochen oder gestohlen werden kann. Sie wählt eine elegante rote Schultertasche, die so groß ist, dass sie als Reisegepäck durchgeht. Die Designermarke ist bekannt und wird den Bankangestellten bestimmt auffallen. Sie bezahlt bar und kehrt schleunigst zu ihrem Auto zurück.
Zwei Wochen zuvor hat sie auf Anweisung von Max – sie kannte ihn nur als Malcolm, aber der neue Name gefällt ihr besser – drei Schließfächer gemietet. Sie hat sorgfältig geeignete Banken in der Gegend von Richmond ausgewählt, die entsprechenden Anträge gestellt, die Überprüfung über sich ergehen lassen und die Gebühren bezahlt. Dann hat sie jede Bank zweimal aufgesucht, um wertlosen Papierkram zu deponieren. Die Sachbearbeiterinnen kennen sie daher als vertrauenswürdig und schöpfen nicht den geringsten Verdacht, als Ms. Vanessa Young mit ihrer coolen, neuen Tasche auftaucht und in den Tresorraum will.
Vanessa braucht keine neunzig Minuten, um fast 1,5 Millionen Dollar in Goldbarren in Sicherheit zu bringen.
Zum ersten Mal nach mehr als einer Woche kehrt sie zu ihrer Wohnung zurück und parkt auf einem Platz, den sie von ihrem Fenster im ersten Stock aus im Auge behalten kann. Die Anlage befindet sich in einem guten Viertel in der Nähe der Universität von Richmond und ist im Allgemeinen sicher. Sie wohnt seit zwei Jahren hier und hat noch nie von einem Autodiebstahl oder einem Einbruch gehört. Trotzdem will sie kein Risiko eingehen. Sie inspiziert Türen und Fenster, um sicherzugehen, dass sich niemand Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hat, findet aber keine verdächtigen Spuren. Sie duscht, zieht sich um und geht wieder.
Vier Stunden später kehrt sie zurück und schleppt in der Dunkelheit ihren Schatz systematisch in die Wohnung, wo sie ihn unter dem Bett versteckt. Sie schläft darauf, mit der Glock auf dem Nachttisch, alle Türen sind abgeschlossen, verriegelt und mit einem Stuhl blockiert.
Unruhig döst sie vor sich hin, und bei Tagesanbruch sitzt sie bereits mit einem Kaffee auf dem Sofa im Wohnzimmer und sieht sich im Lokalfernsehen den Wetterbericht an. Die Uhr scheint stehen geblieben zu sein. Sie würde gern länger schlafen, aber ihr Gehirn lässt ihrem Körper keine Ruhe. Den Appetit hat es ihr ebenfalls verschlagen, auch wenn sie versucht, etwas Hüttenkäse herunterzuwürgen. Alle zehn Minuten geht sie ans Fenster und überprüft den Parkplatz. Die morgendlichen Pendler brechen in Wellen auf: um 7.30 Uhr, 7.45 Uhr, 8.00 Uhr. Die Banken öffnen erst um neun. Sie duscht ausgiebig, zieht sich an wie für einen Gerichtstermin, packt eine Tasche und bringt sie zu ihrem Auto. In den folgenden zwanzig Minuten holt sie nach und nach drei Zigarrenkisten unter dem Bett hervor und schafft sie in den Wagen. Die wird sie in den drei Schließfächern deponieren, die sie bereits am Vortag aufgesucht hat.
Sie ist hin und her gerissen, weil sie sich nicht entscheiden kann, ob die verbleibenden drei Behälter in ihrem Kofferraum oder in der Wohnung unter dem Bett sicherer sind. Sie entscheidet sich für beides, lässt zwei zu Hause und nimmt einen mit.
Vanessa ruft an, um zu melden, dass sie ihre dritte und für diesen Vormittag letzte Charge im Schließfach deponiert hat und nun unterwegs nach Roanoke zum Anwalt ist. Ich bin ihr ein oder zwei Schritte voraus. Ich habe meine drei Banken etwas früher aufgesucht, meine Depots weiter
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