Das Komplott (German Edition)
verboten, »innerhalb von drei Kilometern« zu den Grenzen einer bedeutenden historischen Stätte nach Relikten zu graben, und zwar unabhängig davon, auf wessen Land man beim Graben gerade stand. Die Carters wurden über das neue Gesetz nicht informiert; genau genommen war der Gesetzestext so tief in der Ergänzung versteckt, dass praktisch niemand etwas davon wusste.
Im Laufe der Jahre war Otis’ Großvater immer mal wieder vom FBI drangsaliert worden, das ihm vorwarf, auf geschütztem Land zu graben. In regelmäßigen Abständen kamen Beamte bei ihm vorbei und wollten sein Museum sehen. Als das Gesetz geändert wurde, warteten sie geduldig, bis sie Otis und seinen Großvater dabei erwischen konnten, wie sie einen bewaldeten Teil des Carter-Landes mit Metalldetektoren absuchten. Die Carters suchten sich einen Anwalt, der ihnen riet, sich schuldig zu bekennen. Für viele Verbrechen gegen Bundesgesetze ist inzwischen keine Absicht mehr notwendig. Unkenntnis kann nicht die Grundlage der Verteidigung sein.
Als Opfer des Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act – kurz RICO –, eines häufig unsinnigen und unglaublich dehnbaren Bundesgesetzes, das als Rechtsgrundlage zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Wirtschaftsbereich geschaffen wurde, verfolge ich sehr aufmerksam, wie sich das Bundesstrafgesetzbuch, das inzwischen aus siebenundzwanzigtausend Seiten besteht, immer weiter aufbläht. In der Verfassung werden nur drei Verbrechen auf Bundesebene genannt: Hochverrat, Seeräuberei und Geldfälschung. Heute gibt es über viertausendfünfhundert Verbrechen auf Bundesebene, und es werden immer mehr, da der Kongress für eine härtere Haltung gegenüber Kriminalität eintritt und die Bundesanwälte kreativer werden, wenn es darum geht, Möglichkeiten für die Anwendung ihrer vielen neuen Gesetze zu finden.
Unter Umständen könnte Otis die Verfassungsmäßigkeit des geänderten Gesetzes anzweifeln. Das Verfahren würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen und sich bis lange nach seiner Entlassung hinziehen, wenn er schon längst wieder bei seiner Familie ist. Als ich ihm das bei unserem zweiten Gespräch erkläre, scheint er das Interesse zu verlieren. Warum sollte er sich die Mühe machen, wenn er nicht sofort aus dem Gefängnis kommen kann? Aber der Fall fasziniert mich. Wir vereinbaren, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal darüber zu reden.
Wenn mein Plan schiefgeht, übernehme ich vielleicht Otis’ Fall und gehe durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof. Das dürfte mich für die nächsten fünf Jahre beschäftigen.
Der Oberste Gerichtshof hat es zweimal abgelehnt, meinen Fall anzuhören. Es gab zwar keine Beweise dafür, aber wir hatten den Verdacht, dass meine Berufungsanträge in aller Eile durch das System gepeitscht wurden, weil alle so versessen darauf waren, Barry Rafko mitsamt seinen Komplizen – mich eingeschlossen – hinter Gitter zu bringen.
Ich wurde im November 2005 für schuldig erklärt und zwei Monate später zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Bei der Festlegung des Strafmaßes wurde ich »in Gewahrsam genommen«, was bedeutet, dass ich sofort ins Gefängnis geschickt wurde. Einige aufgrund von Bundesgesetzen verurteilte Straftäter bekommen die Möglichkeit, sich zu einem späteren Zeitpunkt selbst ins Gefängnis »einzuweisen«, oder bleiben auf freiem Fuß, bis sie ihre Haftstrafe antreten müssen. Sie haben Zeit, um sich vorzubereiten. Doch bei den meisten ist man nicht so gnädig.
Mein Anwalt dachte, ich würde fünf oder sechs Jahre bekommen. Barry der Schmiergeldzahler, der wichtigste Angeklagte, das Ziel, der schillernde Schurke, den alle so inbrünstig hassten, hatte zwölf Jahre bekommen. Dann verdiente ich doch wohl weniger als die Hälfte der Strafe, die sie diesem Ekelpaket aufgebrummt hatten. Dionne, meine schöne, liebende Frau, die mich mit allen Kräften unterstützte, war im Gerichtssaal; sie saß neben meinem tief beschämten Vater. An dem Tag war ich der Einzige der acht Angeklagten, dessen Strafmaß verkündet wurde, und als ich vor Richter Slater stand, mit meinem Anwalt rechts von mir, konnte ich nur mit Mühe atmen. Das darf doch nicht wahr sein, sagte ich zu mir, immer wieder, während ich meine Umgebung nur noch verschwommen wahrnahm. Das habe ich nicht verdient. Ich kann das erklären. Ich bin unschuldig. Slater schimpfte und predigte und spielte sich für die Presse auf, und ich kam mir vor wie ein angeschlagener
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