Das Komplott (German Edition)
Schwergewichtsboxer in der fünfzehnten Runde, der schon in den Seilen hängt und die Hände vors Gesicht nimmt, während er auf den nächsten Schlag wartet. Meine Knie waren weich wie Gummi. Ich schwitzte.
Als Richter Slater »zehn Jahre« sagte, hörte ich, wie Dionne hinter mir nach Luft schnappte und in Tränen ausbrach. Während ich weggeführt wurde, warf ich einen letzten Blick zurück. Ich habe das hundertmal in Kinofilmen, TV-Serien und Fernsehübertragungen echter Verhandlungen gesehen – der letzte, verzweifelte Blick des Verurteilten. Was denkt man, wenn man den Gerichtssaal verlässt und weiß, dass man nicht mehr nach Hause gehen wird? Die Wahrheit ist, dass man viel zu durcheinander ist. Es gehen einem zu viele Gedanken durch den Kopf, man ist zu verängstigt, wütend und überwältigt von seinen Gefühlen, als dass man verstehen könnte, was da geschieht.
Dionne war fassungslos und hatte beide Hände auf den Mund gepresst; sie weinte, dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht. Mein Vater hatte den Arm um sie gelegt und versuchte, sie zu trösten. Das war das Letzte, was ich sah – meine schöne Frau, völlig außer sich und am Boden zerstört.
Jetzt ist sie mit einem anderen verheiratet.
Und das habe ich dem Staat zu verdanken.
Meine Geschworenen kamen alle aus Washington. Einige von ihnen machten einen wachen, gebildeten Eindruck, doch die meisten waren nicht gerade der intellektuelle Typ, wenn ich das mal so sagen darf. Nach drei Tagen Beratung teilten sie dem Richter mit, dass sie nicht vorankämen. Konnte man ihnen deshalb einen Vorwurf machen? Die Vertreter der Anklage beriefen sich auf einen beachtlichen Brocken des Bundesstrafgesetzbuches und wandten damit die altmodische Strategie an, so viel Dreck wie möglich gegen die Wand zu werfen, in der Hoffnung, dass irgendetwas hängen blieb. Das war des Guten zu viel gewesen und hatte aus einem relativ einfachen Verfahren gegen Barry Rafko und den Kongressabgeordneten ein juristisches Kuddelmuddel gemacht. Ich hatte unzählige Stunden damit zugebracht, an meiner Verteidigung zu arbeiten, trotzdem waren mir immer noch nicht alle Theorien der Anklage klar. Mein Anwalt hatte von Anfang an prophezeit, dass die Geschworenen nicht zu einer Einigung kommen würden.
Nachdem sich die Geschworenen vier Tage lang beraten hatten, bediente sich Richter Slater eines Kniffs, der unter Prozessanwälten gemeinhin als »Dynamitladung« bezeichnet wird. Im Grunde genommen ist das die Aufforderung des Richters an die Geschworenen, wieder in Klausur zu gehen und auf Biegen und Brechen zu einem Urteil zu kommen. Ihr geht erst nach Hause, wenn ihr ein Urteil habt! Eine derartige Drohung funktioniert nur selten, aber ich hatte nicht so viel Glück. Eine Stunde später kamen die völlig erschöpften und emotional verausgabten Geschworenen zurück und sprachen alle Angeklagten in allen Anklagepunkten schuldig. Für mich und viele andere war klar, dass sie den überwiegenden Teil der Gesetzestexte und komplizierten Theorien der Anklage gar nicht verstanden hatten. Einer der Geschworenen wurde später mit folgenden Worten zitiert: »Wir haben eben angenommen, dass sie schuldig waren, sonst hätte man sie ja gar nicht erst vor Gericht gestellt.« Dieses Zitat verwendete ich auch in meinen Berufungsanträgen, doch es blieb offenbar ungehört.
Während des gesamten Prozesses beobachtete ich die Geschworenen genau. Sie waren schon mit den Eröffnungsplädoyers überfordert. Was ja auch kein Wunder war. Neun verschiedene Anwälte erzählten ihre Version dessen, was passiert war. Der Gerichtssaal musste umgebaut werden, um Platz zu schaffen für die vielen Angeklagten und ihre zahlreichen Anwälte.
Der Prozess war das reinste Theater, eine Farce, eine lächerliche Methode, um nach der Wahrheit zu suchen. Doch wie ich gelernt habe, war die Wahrheit nicht wichtig. In einer anderen Epoche hat ein Prozess vielleicht aus der Darlegung von Fakten, der Suche nach der Wahrheit und der Rechtsfindung bestanden. Heute ist ein Prozess ein Wettkampf, bei dem eine Seite gewinnt und die andere verliert. Jede Partei geht davon aus, dass die andere es mit den Regeln nicht so genau nimmt oder schwindelt, daher verhält sich keine ehrlich. Und die Wahrheit bleibt bei dieser Auseinandersetzung auf der Strecke.
Zwei Monate später kehrte ich zur Verkündung des Strafmaßes in den Gerichtssaal zurück. Mein Anwalt hatte beantragt, man möge mir gestatten, mich zu einem späteren Zeitpunkt
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