Das Komplott (German Edition)
Ihr Name ist Vanessa Young, und ich begegnete ihr an einem kalten Samstagvormittag im Besucherzimmer in Frostburg. Es war das erste Mal, dass ich sie sah. Sie besuchte ihren Bruder, den ich kannte und mochte. Später, bei einem anderen Besuch, lernten wir uns kennen, aber jede Berührung war unmöglich. Ich schrieb ihr Briefe, von denen sie einige beantwortete, aber mir wurde schmerzlich bewusst, dass meine Vernarrtheit in Vanessa nicht unbedingt erwidert wurde.
Ich weiß selbst kaum, wie viele Stunden ich von dieser Frau geträumt habe.
In den vergangenen beiden Jahren hat sich unser Leben dramatisch verändert, und jetzt wage ich es, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Mein neuer bester Freund Pat Surhoff hat mir gesagt, solange ich in Fort Carson sei, dürfe ich weder Briefe schreiben noch empfangen, aber ich verfasse trotzdem einen. Ich arbeite tagelang daran, tüftele herum, überarbeite ihn und vertreibe mir so die Zeit. Ich entblöße meine Seele vor Vanessa und flehe sie praktisch an, sich mit mir zu treffen.
Ich werde schon noch Gelegenheit finden, den Brief abzuschicken.
Surhoff ist wieder da und will mich abholen. In aller Eile verlassen wir Fort Carson und fahren nach Denver, wo wir einen Direktflug nach Atlanta nehmen. Ich trage eine Baseballkappe und eine große Sonnenbrille und werde nicht ein einziges Mal neugierig angesehen. Ich beschwere mich über unsere Plätze, wir sitzen nebeneinander in Economy, nicht in der ersten Klasse. Surhoff sagt, der Kongress kürze überall die Mittel. Nach einem üppigen Mittagessen, das aus Rosinen und Cola besteht, kommt er zur Sache. Er öffnet eine wahre Wundertüte: eine Akte mit dem Beschluss eines Gerichts des Staates Virginia, dem zufolge ich jetzt Max Reed Baldwin heiße, einem neuen Sozialversicherungsausweis auf ebendiesen Namen, einer Geburtsurkunde, der zufolge ich in Memphis als Kind mir unbekannter Eltern geboren bin, und einem Führerschein des Staates Florida, dessen gefälschtes Foto auf der Computerdarstellung basiert, die die Ärzte und ich vor der Operation zusammengebastelt haben. Es sieht so echt aus, dass noch nicht einmal ich die Fälschung erkennen kann. Surhoff erklärt, dass ich einen neuen bekomme, wenn mein Gesicht in einem Monat oder so sein endgültiges Aussehen hat. Das gilt auch für den Reisepass. Wir füllen Anträge auf Visa- und American-Express-Karten aus. Auf seinen Rat hin habe ich eine neue Handschrift geübt, die ein ziemliches Gekrakel ist, aber auch nicht viel schlimmer als die alte. Max unterschreibt einen auf sechs Monate befristeten Mietvertrag für ein Ein-Zimmer-Apartment in Neptune Beach, ein paar Kilometer östlich von Jacksonville, und beantragt ein Girokonto bei der SunCoast Bank. Surhoff erklärt, dass die Bank dreihundert Meter vom Apartment entfernt eine Filiale unterhält. Die Belohnung in Höhe von hundertfünfzigtausend Dollar wird auf das Konto überwiesen, sobald es endgültig eröffnet ist, und dann kann ich damit machen, was ich will. Angesichts dieses üppigen Startkapitals meinen die Behörden, ich bräuchte sonst nicht viel Unterstützung. Ich kann mich noch nicht einmal darüber ärgern. Er sagt, das Finanzamt werde mir eine Bescheinigung über eine Steuerbefreiung in voller Höhe ausstellen, und nennt mir einen Steuerberater, der weiß, wer beim Finanzamt und bei den U.S. Marshals eingeweiht ist. Er gibt mir einen Umschlag mit dreitausend Dollar in bar und meint, das müsste für einen Neuanfang ausreichen. Wir diskutieren, ob ich besser ein Auto leasen oder eines kaufen soll, und er sagt, Leasen sei einfacher und werde meinen Bonitätsstatus positiv beeinflussen.
Er gibt mir eine zweiseitige Übersicht über das Leben von Max Baldwin, die sich wie ein Nachruf liest. Eltern, Geschwister, Schulbildung, Arbeitsverhältnisse. Ich stelle fasziniert fest, dass ich einen Großteil meines Lebens in Seattle verbracht habe und zweimal geschieden, aber kinderlos bin. Ich ziehe nach Florida, weil das so weit wie möglich von Ehefrau Nummer zwei entfernt ist. Diese Geschichte muss ich unbedingt auswendig lernen und mich daran halten. Aufgelistet sind auch meine bisherigen Beschäftigungsverhältnisse – alle bei staatlichen Behörden – und mein Bonitätsstatus.
Was die Arbeit angeht, so habe ich zwei Alternativen. Ich kann Einkäufer für den Marinestützpunkt Mayport einige Kilometer nördlich von Neptune Beach werden, mit einem Anfangsgehalt von achtundvierzigtausend Dollar und einer zweimonatigen Schulung.
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