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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Geschäftsviertels am Rande der Altstadt. Damien Louvel hatte ein großes Zimmer in der obersten Etage reserviert. An der Art, wie er den Empfangschef begrüßte, merkte ich, dass er sich hier gut auskannte.
    Kaum hatte er das Zimmer betreten, klappte er sein Notebook auf und schloss seine Digitalkamera an. Schweigend beobachtete ich, wie er alle Bilder, die er in Gérard Reynalds Wohnung aufgenommen hatte, übertrug und offenbar auf einem Server speicherte. Ich erkannte im Übrigen das Portal der Website, auf der wir uns unterhalten hatten, hacktiviste.com. Offensichtlich war er gewohnt, mit solchen Dingen umzugehen.
    »Was tun Sie da?«, fragte ich.
    »Ich maile die Fotos den anderen in Paris. Wir brauchen Zeit, um das alles zu sondieren. Unser Experte kann sich an die Arbeit machen.«
    »Ihr Experte? Sie reden so, als ob SpHiNx eine große Gesellschaft wäre.«
    Er lächelte. »Nein … Wir sind keine große Gesellschaft. Wir arbeiten zu viert in Vollzeit für die Gruppe.«
    »Das ist seltsam. Im Netz erwecken Sie den Eindruck, als wären Sie einfache kleine Hacker, Amateure sogar.«
    »Ja, das ist Absicht. Wir wollen nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Wir ziehen es vor, dass unsere Gegner uns nicht sonderlich ernst nehmen.«
    »Haben Sie viele Gegner?«, erkundigte ich mich erstaunt.
    »Jeder, der sich bemüht, die Wahrheit zu verbergen, ist ein potenzieller Gegner.«
    »Aber für wen arbeiten Sie?«
    »Für niemanden, Vigo. Wir sind eine private Gruppe, wir sind unabhängig. Eine kleine Nichtregierungsorganisation für Informationen, wenn Sie so wollen.«
    Es gelang mir nicht, zu begreifen, wie und warum diese Gruppe bestand. Diese Weltverbesserer aus dem Netz vermittelten mir ein Bild mit einer durch und durch romantischen Seite. Doch mit der Zeit wurden sie immer realer und immer seriöser für mich.
    »Sie sagen, Sie seien unabhängig«, beharrte ich, »aber Sie brauchen doch sicher Geld?«
    »Ich habe es Ihnen neulich schon mal erklärt, wir haben großzügige Spender. Und wenn die Kunden uns vertrauenswürdig erscheinen, bieten wir unsere Dienste auch gegen Geld an. Aber das ist eine Ausnahme. Wir sind eher Verfechter der kostenlosen Dienste. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden das alles in Paris sehen. Im Augenblick haben wir verdient, uns ein bisschen zu entspannen. Vigo, wollen Sie etwas trinken?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Nach der Spannung kommt die Entspannung! Ich lass uns eine Flasche bringen. Mögen Sie Whisky?«
    Ich nickte. Er gab seine Bestellung auf, und einige Minuten später saßen wir auf der Couch, jeder ein Glas mit einem köstlichen Whisky in der Hand.
    Ich konnte mich ziemlich schnell entspannen. Louvel hatte recht, ich brauchte ein bisschen Ruhe. Unwillkürlich musste ich an Agnès denken. Das letzte Mal hatte ich mit ihr in ihrer kleinen Wohnung in der Nähe der Place de Clichy einen Whisky auf dem Sofa getrunken. Wieder einmal spürte ich, wie sehr sie mir fehlte. Die Ruhe und die Entspannung am Ende dieses skurrilen Tages vermischten sich mit einer unvermeidlichen Melancholie und einem Gefühl der Unwirklichkeit.
    Ich zog eine Bilanz der letzten vierzehn Tage. Das Attentat, die Entdeckung meiner Nichtidentität, meine falschen Eltern, meine unerklärlichen epileptischen Anfälle, Agnès, Feuerberg, Dermod und jetzt Nizza … Welche Macht hatte ich über all das? Begriff ich wirklich, was mir geschah? Wie konnte das ausgehen? Konnte ich zumindest mit einem glücklichen Ausgang dieses Abenteuers rechnen, das jegliches Verständnis überstieg? Und vor allem, vor allem anderen, gelang es mir immer noch nicht, meine eschatologische Angst zu ergründen. Vielleicht fanden die Fragen zu dieser Angst ein neues Echo in dieser Untersuchung, auf die ich mich ohne nachzudenken eingelassen hatte. Denn wozu diente das alles am Ende? Wenn ich diese Untersuchung bis zu ihrem Ende geführt hatte, sofern mir das überhaupt gelang, würde das Ergebnis etwas an meiner Angst ändern? An meinen Zweifeln an der Zukunft des Homo sapiens? Unwillkürlich ahnte ich die Nutzlosigkeit meiner erneuten Bemühungen. Die Lächerlichkeit meiner Suche nach der Wahrheit. Suchte ich nur die positive Wahrheit, die meinen Wissensdurst stillen würde?
    In diesem Moment wurde mir klar, in welchem Zustand nervöser Erschöpfung ich mich befand, in welcher Niedergeschlagenheit und Verwirrung. Alles in allem schlug ich mich ganz tapfer. Ein anderer wäre vielleicht schon bei weniger zusammengebrochen. Da ich

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