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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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ein ehemaliger Boxer, Vigo«, meinte der Hacker lachend.
    »Ich bin vor allem völlig kaputt.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden es am Ende herausfinden.«
    »Manchmal frage ich mich, ob ich es wirklich wissen will.«
    Louvel hob sein Whiskyglas.
    »Vigo, trinken wir auf die Wahrheit! Die Wahrheit.«
    Ich stieß ohne echte Begeisterung mit ihm an. Einen Moment lang schwiegen wir, jeder in seine Gedanken versunken. Dann erhob sich Louvel.
    »Also, es ist spät! Gehen wir schlafen. Sie sehen furchtbar aus. Morgen kaufen wir ein paar Sachen für Sie. Sie brauchen einen Koffer und eine neue Garderobe. Allmählich sehen Sie aus wie ein Clochard.«
    Ich grinste. »Kein Wunder, seit zwei Wochen laufe ich in denselben Klamotten durch die Gegend.«
    »Wir regeln das. Klamotten sind mein Gebiet. Dafür bin ich begabter als fürs Boxen. Dann kehren wir nach Paris zurück. Ich nehme Sie mit in unser Büro, und wir werden versuchen, alles zu analysieren, was wir hier gesammelt haben.«
    »Einverstanden.«
    »Ich überlasse Ihnen das Schlafzimmer und lege mich auf die Couch.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja, ja. Gehen Sie schlafen, Vigo.«
    Ich nahm gern an und freute mich auf eine erholsame Nacht.
66.
    Moleskin-Notizbuch,
Anmerkung Nr. 193: Erinnerung, Ende
    Mein Name ist nicht Vigo Ravel. Ich bin dreizehn. Ich sitze auf dem Rücksitz des grünen Kombis. Meine Eltern sitzen vor mir. Ich sehe jetzt ihr Gesicht. Das Lächeln meiner Mutter, ihre müden Augen, Zeichen der Traurigkeit. Und mein Vater, Bürstenhaarschnitt, kantiger Kopf, breites Kinn, harter Blick, strenge Stimme – ein Sinnbild der Autorität.
    Draußen erstrecken sich die grünen Hügel der normannischen Küste. Deauville verschwindet am Horizont, wir sehen nur noch die alten Bunkeranlagen. Dann tauchen die Kalkfelsen auf, wie ein Postkartenklischee.
    Die summende Fliege, die mich umschwirrt, lässt mich jetzt kalt. Ich weiß, dass sie nicht mehr wichtig ist, dass sie mich nur ablenken will, damit ich das nicht aufnehme, was ich hören, ja verstehen muss.
    Meine Eltern streiten sich, sie benutzen mich, um zu rechtfertigen, was sie trennt. Ich weiß es. Meine Erziehung dient als Vorwand für ihre Meinungsverschiedenheiten. Sie zerreißen mich, statt sich zu zerfleischen. Ich werde es nicht mehr lange aushalten.
    Der Wagen hält auf einem Damm. Die Türen schlagen zu. Ich folge meinen Eltern auf dem verwaisten Strand, die Hände in den Taschen vergraben, die Fäuste geballt, und versuche meinen Zorn zu beherrschen. Wir gehen über die Kieselsteine. Das Tosen der Wellen und der Wind können ihren endlosen Streit kaum ersticken. Es ist ihr letzter Kampf.
    Plötzlich lässt mein Vater meine Mutter am Ufer stehen und kehrt zu mir zurück. Ich sehe, wie er sich zu mir beugt und meine Schultern umfasst.
    »Mein Kleiner, deine Mutter und ich, wir trennen uns.«
    »Ich weiß.«
    Er wirkt überrascht. Ich bin nicht der Idiot, den er gern in mir sehen wollte.
    »Du lebst bei mir.«
    Ich verschränke die Arme über der Brust und krause die Stirn. Mein Körper ist eine einzige Abwehr.
    »Nein.«
    »Red keinen Unsinn.«
    »Ich möchte lieber bei Mama bleiben.«
    Er seufzt.
    »Mama muss eine Zeitlang weg.«
    »Wohin geht sie?«
    »In die Klinik.«
    »Ist sie krank?«
    »Nein, sie … sie braucht Ruhe. Heute Abend kehren wir, du und ich, nach Paris zurück. Mama bleibt in Deauville . Wir besuchen sie von Zeit zu Zeit.«
    Ich weine. Ich weiß, Kinder besitzen keine Waffen, sich gegen so etwas zu wehren.
    »Wir besuchen sie von Zeit zu Zeit.«
    Aber er hat sein Versprechen nicht gehalten.
67.
    Am nächsten Tag ging Damien Louvel, wie versprochen, in die große Fußgängerzone in der Stadtmitte mit mir einkaufen. Anfangs fand ich das etwas seltsam, ja einschüchternd, mit diesem Mann, den ich kaum kannte, unter den amüsierten Blicken der Verkäuferinnen in den Läden von Nizza Klamotten anzuprobieren. Aber dann hatten wir viel Spaß. Louvel besaß einen Sinn für Humor und einen Spott, der mich entkrampfte, und er hatte offensichtlich einen sicheren Modegeschmack. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und zog mich auf.
    »Mein Lieber, Sie wollen wohl unbedingt den Look des komplexbehafteten Schizophrenen beibehalten? Los, probieren Sie diese Jeans an, die macht Sie zehn Jahre jünger und zwei Kilo leichter.«
    Ich hatte das Gefühl, eine Szene von Pretty Woman zu spielen. Wie ein großer Bruder half er mir bei der Auswahl von Hosen, Hemden, Jacken, Schuhen … und jedes Mal

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