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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Zimmer zurück.
    Fliehen. Ich musste fliehen. Halluzination hin oder her, ich konnte nicht länger in dieser Wohnung bleiben. Hier würde ich vollkommen verrückt werden.
    Wenn das kein neuer Auswuchs meines kranken Gehirns war, würden die Leute, die diese Kamera in meiner Wohnung installiert hatten, sicher im nächsten Moment hier aufkreuzen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was diese Typen gegen mich hatten und wer sie überhaupt waren, aber ich spürte keinerlei Verlangen, ihre Bekanntschaft zu machen.
    Ich musste so schnell wie möglich das Feld räumen und ein paar Dinge mitnehmen. In meinem Zimmer holte ich unter meinem Schreibtisch einen alten Rucksack hervor, stopfte wahllos Kleidungsstücke hinein und das kleine Holzkästchen, in dem ich bei meiner Paranoia immer etwas Bargeld aufbewahre. Damit konnte ich mehrere Tage auskommen, vielleicht sogar ein oder zwei Wochen. Eine Waffe? Ich hatte keine. Doch. Ich nahm mein großes Taschenmesser vom Schreibtisch und überlegte. Was sollte ich noch mitnehmen? Was mir am wertvollsten war: meine Moleskin-Notizbücher.
    Plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass die Einbrecher vielleicht genau sie gesucht hatten. In Panik ließ ich mich neben mein umgekipptes Bett fallen. Mit zitternden Händen hob ich die beiden kleinen losen Parkettklötzchen hoch, unter denen ich meine Notizbücher aufbewahrte. Sie waren noch da. Alle. Ich steckte sie in den Rucksack.
    Im Bad griff ich nach meinen Toilettensachen und meinen Medikamenten und schob sie in den Rucksack. Ich warf noch einen letzten Blick auf die Wohnung und ging dann unverzüglich hinaus. Ich ließ die Tür hinter mir zufallen und verließ das Haus über die Dienstbotentreppe.
    Auf der Straße blickte ich mich nach allen Seiten um. Ich rechnete fest damit, dass ein unsichtbarer Feind auf der Lauer lag und mich im nächsten Augenblick überfallen würde. Mit dem Rucksack über der Schulter ging ich die Rue Miromesnil hinauf. Ich lief eilig an den Mauern aus weißem Sandstein und rotem Backstein vorbei.
    Ich bog nach links und trat auf den Boulevard, auf dem lange Autoschlangen einen riesigen Lärm machten. Hinter mir stand die imposante Kirche Saint-Augustin. Ich schlängelte mich durch den Pariser Dschungel der Litfaßsäulen und Telefonzellen. An der Place du Général Cat roux hob ich den Blick zur großen Statue von Alexandre Dumas. Der Schriftsteller thronte auf einem hohen Stuhl, über seinen Werken. Auch er schien mich zu überwachen. Ich erwartete geradezu, dass er mit den Augen blinzelte, wie die kleine Überwachungskamera es getan hatte. Ich spürte die idiotische Gewissheit, dass die ganze Stadt mich beobachtete. Ich verbarg mich im stillen Schatten der Platanen. Die Welt schien sich um mich zu drehen, erfüllt von verworrenen Stimmen. Es war so heiß, dass der Dunst in der Luft mich einlullte. Ich hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Aber ich musste rennen, immer weiterrennen, wie das Opfer, das von tausend rasenden Beutetieren verfolgt wird.
    An der Place Wagram wechselte ich die Straßenseite, um geradeaus zur Porte Asnières zu gelangen. Ich wollte raus aus Paris, seinem oder meinem Wahnsinn entfliehen. Weg aus der Wohnung, weg von der Kamera. Weg aus meinem Alptraum.
    Als ich nicht mehr konnte, ließ ich mich auf eine Bank fallen. Ich schloss einen Moment die Augen, als ob mich das in eine andere Welt, eine andere Realität versetzen könnte. In meinem Kopf dröhnten Tausende von Stimmen. Ich keuchte. Ich öffnete die Augen und hob den Kopf. Die Fassade eines Hotels erhob sich vor mir wie eine mütterliche Antwort auf all meine Ängste.
20.
    Der beste Zufluchtsort, den ich mir vorstellen konnte. Ein Hotel Novalis, zwei Sterne, anonym, weiß, kühl, unauffällig. Genau der Nicht-Ort, den ich brauchte. Um nicht zu sein.
    Seit dem Bombenanschlag hatte ich mir noch keine Zeit genommen, meine Sachen zu wechseln. Blut und Schmutz vermischten sich auf meinem weißen T-Shirt. Meine Hose war zerrissen, meine Hände zeigten blutige Kratzer. Ich sah aus wie ein Clochard, den eine Bande jugendlicher Rowdys in die Mangel genommen hatte. Ich weiß nicht, was den Typen am Empfang bewog, mich in meinem Aufzug als Hotelgast zu akzeptieren. Vielleicht erlaubte ihm die Hotelkette nicht, einen Gast abzulehnen.
    »Haben Sie noch ein Zimmer?«
    Als ich mit ihm redete, schweißgebadet, blickte ich mich um, als ob ich verfolgt würde.
    »Für wie lange?«
    »Ich weiß nicht. Für ein paar Nächte.«
    »Haben Sie kein

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