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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Hände voller Blut waren. Sicher würde der Herr Kunckel einen gewaltigen Schrecken bekommen, wenn er sie so sah, aber daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Sie spürte die Blicke genauso unangenehm auf sich, wie den Schweiß, der jetzt, da die Aufregung vorbei war, einen kalten Film auf ihrer Haut bildete. Sie ging rasch zu ihrem Pferd und schwang sich wieder auf seinen Rücken.
    Tilman Heinrich in der Scheffelgasse, wiederholte sie im Kopf, um sich den Namen einzuprägen. Sie erwartete keinen Dank, war es dem Jungen aber schuldig, dass sie sich nach seinem Befinden erkundigte. Das hatte sie bisher mit jedem so gehalten, den sie behandelt hatte.
    Doch jetzt musste sie wieder an den Brief für Kunckel denken. »Verzeiht, kann mir einer von euch sagen, wo ich den Herrn Kunckel von Löwenstein finden kann. Johann Kunckel«, wandte sie sich an die Umstehenden, die sie noch immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen ansahen.
    »Da mussde aus dor Schdadd naus«, rief schließlich eine Frau. »Däs Gud ist ä baar Meilen ösdlisch von hier. Da reidsde am besden durch das Birnaer Dor.«
    Annalena hatte keine Ahnung, welches Tor sie meinte, aber wenn sie es genauso aussprach, wie es die Frau getan hatte, würden ihr weitere Leute sicher den Weg weisen können.
    »Habt vielen Dank«, entgegnete sie und trieb unter den Blicken und dem Getuschel der Menschen ihr Pferd Richtung Osten an.

    Der zerlumpte Mann hatte den Tumult auf dem Marktplatz ebenfalls mitbekommen, doch er kümmerte sich nicht darum. Was ging ihn schon das Schicksal anderer Leute an?
    Er war auf dem Weg zur Ratsfronfeste in der Großen Frongasse. Dort befand sich nicht nur das Stockhaus, in das Gefangene eingeschlossen wurden, dort hatte auch der Henker der Stadt seinen Sitz. Wenn man den Leuten aus der umliegenden Gegend glauben durfte, war sein Name Christian Pötzsch, und er sollte ein wirklich guter Henker sein. Vermutlich brauchte er keinen Knecht, aber er wollte es trotzdem bei ihm versuchen. Auch wenn er keinerlei Referenzen vorzuweisen hatte.
    Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er in die Gasse einbog. Über ein halbes Jahr war es nun her, dass ihm seine Frau entwischt war, ein halbes Jahr, das sein Leben komplett verändert hatte. Wahrscheinlich lachten sämtliche Henkersfamilien in Mecklenburg und Niedersachsen inzwischen über den Namen Peter Mertens.
    Er hatte zuerst bei Annalenas Verwandten nach ihr gefragt. Die Rachsucht war wie ein Wolf gewesen, der sich durch seine Eingeweide fraß. Sie wuchs mit jedem Mal, wenn er die Antwort erhielt, man habe Annalena nicht gesehen. Bald schon eilte ihm sein Ruf voraus und die Verwandten seiner Frau erwarteten ihn bereits, doch keiner von ihnen konnte oder wollte helfen. Angesichts des Wahns, der aus seinen Augen sprach, wünschten viele Annalena insgeheim Glück.
    Danach hatte er die größeren Städte und ihre Umgebung abgesucht. Verwandte hatte sie dort nicht, aber die örtlichen Henkersfamilien würden ihr sicher Obdach gewähren. Immerhin gab es den ungeschriebenen Ehrenkodex, dass Henker und ihre Familien anderen Mitgliedern ihres Standes Schutz und Hilfe boten, wenn sie es ersuchten.
    In Oranienburg war er erfolglos gewesen, obwohl er in der Nähe, in einem verlassenen Gehöft im Wald, endlich eine Spur gefunden hatte, die ihn allerdings auch nicht weiterbrachte. Danach hatte er in Berlin nachgefragt, doch der Henker kannte keine Frau dieses Namens. Er war nach Frankfurt weitergezogen, doch auch der dortige Henker wusste nichts von einer Lübzer Henkerstochter. Weiter war die Reise nach Wittenberg und Leipzig gegangen, aber auch dort keine Spur von ihr. Als er die letzte Stadt ohne ein Ergebnis verließ, verfluchte er die Größe des Reiches und seiner Städte, die unendlich viele Verstecke für eine Flüchtige boten.
    Es gab auch zu viele Frauen mit Haaren wie Krähengefieder. Einige von ihnen hatte er ausfindig gemacht, aber nur, um festzustellen, dass sie es nicht war. Vermutlich würde es besser sein, wenn er die Suche aufgab und erst einmal wieder dafür sorgte, dass sich seine Taschen füllten. Vielleicht war das elende Teufelsweib auch in irgendeiner Gosse verreckt. Geschähe ihr recht.
    Nach Walsrode zurückkehren konnte er nicht, wahrscheinlich hatte ihn sein alter Meister bereits in Grund und Boden geflucht. Auch war er viel zu weit von seiner alten Heimat entfernt und hatte dort obendrein sein Gesicht verloren. Nein, er wollte sich dieser Schmach nicht

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