Das Krähenweib
Mitte dieses Kabinetts stand ein Mann. Er war hemdsärmelig, unrasiert und hatte sein graumeliertes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Dass er gerade aus dem Laboratorium gekommen war, stimmte offensichtlich, denn über seinen Kleidern trug er eine Schürze aus Segeltuch, die zahlreiche Flecke aufwies. Der Geruch, der Annalena entgegenströmte, erinnerte sie an Johann. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie wieder daran dachte, welches Bild er in seiner Zelle abgegeben hatte.
Kunckel musterte sie ausgiebig, und obwohl Annalena nicht wusste, wie man solch einem hohen Herrn begegnen sollte, versuchte sie sich an einem Knicks. Dieser fiel allerdings so unglücklich aus, dass er Kunckel ein Lächeln entlockte.
»Nun, wie ist Euer Name und in welcher Angelegenheit verlangt Ihr, mich zu sprechen?«
Annalena blickte sich nach dem Diener um, der immer noch hinter ihr stand, und Kunckel verstand diese Geste. »Martin, lasse Er uns allein.«
Der Diener verbeugte sich und zog sich zurück. Als die Tür ins Schloss gefallen war, antwortete Annalena: »Ich komme im Auftrage von Johann Böttger und soll Euch diesen Brief überbringen.«
Sie zog das Schreiben unter ihrem Hemd hervor. Dass dabei der Umhang aufklaffte und die Blutflecke preisgab, war ihr egal, denn sie hatte ihr Ziel erreicht.
Kunckel nahm ihr das Schreiben ab und Annalena hatte fast den Eindruck, als würde er die Wärme, die das Kuvert von ihrer Haut angenommen hatte, genießen. Doch dann schlug er rasch den Brief auseinander und studierte ihn. Annalena beobachtete, wie sich die Falte auf seiner Stirn vertiefte.
»Da scheint es unseren jungen Freund ziemlich hart getroffen zu haben«, sagte Kunckel schließlich. »Allerdings wundert es mich nicht, dass der Preußenkönig seiner habhaft werden will. Er hat für ziemlichen Wirbel gesorgt, selbst uns hier in Sachsen haben die Nachrichten von seinen gelungenen Versuchen schon erreicht. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich auch der sächsische Kurfürst für ihn interessieren wird, wenn ihn die Nachricht in Warschau erreicht.«
Annalena wusste, dass dies gewiss nur etwas Schlechtes für Johann bedeuten konnte. »Könnt Ihr erwirken, dass er freigelassen wird? Immerhin hat er nichts Unrechtes getan!«
»O doch, und ob er etwas Unrechtes getan hat!«, erwiderte Kunckel. »Er hat seine Person und sein Talent dem König entzogen. Das ist ein schwerwiegendes Verbrechen und es würde mich nicht wundern, wenn ein sattes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wäre.«
»Tausend Taler«, sagte Annalena niedergeschlagen und ließ die Schultern sinken.
»Es gibt das Kopfgeld also schon?«
Annalena nickte. »Schon bevor wir aus Berlin geflohen sind.«
Kunckel legte das Schreiben auf den Tisch neben sich und seufzte. »Eine derartige Summe! Ich fürchte, da werde ich nicht mehr viel für ihn tun können. Sicher sind zahlreiche Glücksritter und anderes Gesindel bereits auf der Suche nach ihm. Es ist vielleicht von Vorteil, dass sich der Amtmann seiner angenommen hat. Papier, das aus den Amtsstuben stammt, geht lange Wege. Und ein sächsischer Amtmann wird ihn nicht den Preußen ausliefern, so viel steht fest.«
Aber offenbar war Kunckel nicht davon überzeugt, dass es Johann beim sächsischen Herrscher bessergehen würde. Annalena blickte den Alchemisten flehend an. »Gibt es denn gar nichts, was Ihr tun könnt? Johann setzt alle Hoffnungen auf Euch. Ihr allein könnt ihn davor bewahren, seinen Kopf auf dem Richtblock zu verlieren!«
Kunckels Miene wirkte jetzt beinahe belustigt. »Johann ist er für Euch also. Er scheint bei allem Unglück wenigstens noch in einer Sache Fortunas Gunst zu haben.«
Annalena konnte nicht verstehen, wie er in einer Situation wie dieser die Muße haben konnte, sie unverschämt zu betrachten. Ihre Stimme überschlug sich nun beinahe vor Verzweiflung. »Versteht doch, Herr, Ihr müsst ihm helfen!«
Augenblicklich wurde die Miene ihres Gegenübers wieder ernst. »Ich werde ihm helfen, wenn es in meiner Macht steht. Aber ich sage Euch gleich, ich weiß nicht, ob meine Bemühungen überhaupt etwas bewirken können. Ihr solltet Euch besser in Geduld und Gebeten üben, denn etwas anderes wird keinen Sinn haben.«
Annalena senkte den Kopf. Ein Schluchzen stieg in ihrer Brust auf. Sie hatte den Weg nach Dresden auf sich genommen, in der Hoffnung, bald wieder mit Johann vereint zu sein. Doch offenbar würde, wenn es denn überhaupt geschähe, bis dahin noch viel Zeit ins Land
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