Das Krähenweib
protestierenden Krächzen einiger aufflatternder Krähen preschte Annalena an einem weiteren reifbedeckten Feld vorbei gen Süden. Während die Hufe unablässig auf den Boden stampften und Dreckklumpen hinter sich aufwirbelten, konnte sie die ganze Zeit über nur daran denken, was passieren würde, wenn die Preußen Johann in die Finger bekamen.
Sie kannte den König nur vom Hörensagen, doch sie wusste um die Gerechtigkeit höherer Herren. Ein Ratsherr unterschied sich sicher nicht wesentlich von einem gekrönten Haupt. Johann musste fort aus Wittenberg, und zwar so schnell wie möglich!
Nachdem sie sich in der ersten Nacht nur kurz ausgeruht hatte, tauchte in den Nachmittagsstunden des zweiten Tages Dresden vor ihr auf. Ein wenig erinnerte sie die Stadt an Berlin, denn auch durch sie schlängelte sich ein breiter Fluss. Mehrere Kirchen reckten ihre Türme in den Himmel, die Wehranlagen waren trutzig und eine lange steinerne Brücke führte über den Fluss.
Annalena sprengte über die Steine hinweg, und angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie an den Menschen auf der Brücke vorbeistob, schüttelten einige missbilligend die Köpfe oder hoben sogar die Fäuste. Selbst die Leute auf den Kähnen unterhalb der Brücke wandten sich um.
Annalena schenkte ihnen keine Beachtung. Der Hufschlag dröhnte in ihren Ohren, und erst, als sie die Torwächter sah, brachte sie das Pferd dazu, langsamer zu laufen und schließlich ganz anzuhalten.
»Sagt, wo finde ich den Herrn Johann Kunckel von Löwenstein?«, fragte Annalena einen der Torwächter, die ihren Unterstand verlassen hatten, um nachzuschauen, wer da wie der Teufel auf ihr Tor zugeritten kam.
Als sie sahen, dass es eine Frau war, wirkten sie doch ziemlich überrascht. So überrascht, dass sie überhaupt nicht auf ihre Frage reagierten.
»Johann Kunckel, wo finde ich ihn bitte?«, wiederholte sie, und endlich antwortete der Wächter: »Das gönnen mir dir ooch nich sachn, mir gennen nisch alle Leude in der Schdadd.«
Annalena blickte die Wächter erstaunt an. Zunächst hatte sie kaum ein Wort verstanden, und erst, als sie die Worte rekapitulierte, kam sie dahinter, was der Wächter gemeint hatte.
»Was guggsde so?«, fragte der Wächter nun. »Biste vielleechd daub?«
Nein, ich habe dich nur nicht verstanden, dachte Annalena, aber da der Mann ohnehin keine Hilfe war, bedankte sie sich und trieb das Pferd wieder an. Der Hufschlag hallte dumpf, als sie den Torbogen durchquerte, und die Blicke der Wächter, die nun ebenfalls den Kopf schüttelten, folgten ihr.
Ein Marktplatz, ging es Annalena durch den Sinn. Vielleicht weiß man dort, wo sich das Gut von Kunckel befindet. Sie folgte der Straße und wich geschickt den Passanten aus, die ihr dennoch ein paar Flüche hinterherschickten. Sie wusste nicht, wo es hier in Dresden einen Marktplatz gab, doch vor jeder Kirche gab es einen großen freien Bereich, und wenn dort kein Markt sein sollte, so doch sicher einige Leute, die ihr weiterhelfen konnten. Sie suchte sich also einen der hoch aufragenden Kirchtürme der Stadt aus und ritt darauf zu.
Zwischen den anderen Gebäuden erhaschte sie kurze Blicke auf ein Schloss. Soweit sie es erkennen konnte, war es zum Teil abgebrannt, während die noch stehenden Mauern vielfach schwarze Rußspuren zeigten. Sie fragte sich, ob das wohl das Schloss des Kurfürsten war und wo er jetzt wohnte.
Aber um hohe Herren brauchte man sich keine Gedanken zu machen. Noch nie hatte es einen König gegeben, der kein Dach über dem Kopf hatte. Selbst im Felde bekam der König immer das beste Zelt, und gewiss besaß ein Kurfürst nicht nur das eine Schloss.
Nachdem sie eine weitere Gasse durchquert hatte, tat sich vor ihr ein großer Platz auf. Zahlreiche Menschen waren hier unterwegs oder standen zusammen, um einen Plausch zu halten. Annalena sah bunte Röcke und helle Kleider unter wollenen Mänteln, manche Leute trugen gegen die Kälte des einkehrenden Winters Pelze auf den Schultern, die Männer verbargen ihre Haartracht unter breitkrempigen Hüten.
Sie selbst hatte nichts weiter als einen wollenen Umhang, aber mittlerweile hatte sie sich an die Kälte gewöhnt. Wäre sie zu Fuß unterwegs gewesen, hätten die Leute sie gewiss übersehen, doch da sie hoch zu Ross war, blickten einige von ihnen zu ihr auf. Ihre Blicke verweilten kurz auf ihrem groben Kleid, dem Umhang, den schmutzigen Beinen und den Holzpantinen, an denen ebenfalls Dreck klebte, bevor sie sich wieder abwandten. Einige
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