Das Krähenweib
ergeben. Er beschloss also, weitere Städte Sachsens zu bereisen, in der Hoffnung, dass irgendwo ein Knecht gebraucht wurde – und dass jemand von Annalena gehört hatte.
Zuvor war er in Freiberg gewesen, wo man ihm gesagt hatte, dass er beim Pötzsch in Dresden nachfragen sollte. Und jetzt war er hier.
Nach einer Weile bog er in die Große Frongasse ein. Die Ratsfronfeste war nicht zu übersehen. Es war ein riesiges Gebäude mit einem kleinen Turm zur Straße hin. Der Henker, der hier sein Amt versah, hatte gewiss ein gutes Auskommen und würde sich vielleicht dazu bringen lassen, einen Knecht anzustellen.
Ein seltsamer und doch allzu bekannter Geruch schlug Mertens entgegen, als er den Hof der Fronerei betrat. Ein paar Hühner flatterten gackernd vor ihm davon, und an der Seite des Hofes konnte er einen Karren sehen, vor dem ein großes und schwerfällig wirkendes Pferd angespannt war. Seinen Nüstern entwichen weiße Atemwolken, während es den Boden nach etwas Fressbarem absuchte.
Mertens konnte Stimmen vernehmen, sah allerdings nicht, von wem sie stammten. Das änderte sich, als er sich der Tür näherte, die trotz der Kälte sperrangelweit offen stand, als wollte man etwas nach draußen bringen. Tatsächlich erschienen im nächsten Moment zwei Henkersknechte, die den leblos wirkenden Körper eines Mannes nach draußen trugen.
Der Mann sah aus wie eine Leiche, doch seine Beine waren unter dicken Verbänden verborgen, und Mertens erkannte nun, dass der Kerl einem peinlichen Verhör unterzogen worden war, wahrscheinlich mit spanischen Stiefeln, einer Apparatur, die dem Gefangenen die Beine zerquetschte. Die Knechte legten den Mann auf dem Karren ab und setzten sich dann selbst auf den Kutschbock.
Wenig später erschienen ein Ratsdiener und zwei Männer mit dunklem Talar, die jeweils einen dicken Folianten unter dem Arm trugen. Das mussten Mitglieder des Gerichts sein. Ihnen folgte schließlich noch ein blasser Schreiber, der gerade seine Umhängetasche verschloss, damit die Federn und das Papier nicht herauspurzelten. Dann setzten sich der Karren mit dem Gefangenen und die versammelten Männer in Bewegung. Mertens hielt sich im Hintergrund, so dass er die Prozession beobachten konnte, ohne selbst von den Herren bemerkt zu werden.
Erst ein anderer Mann bemerkte ihn hingegen. Er war inzwischen in die Tür getreten und schien den Rahmen mit seinem Leib fast vollständig auszufüllen.
»He, du da!«, rief er Mertens zu. »Was suchst du hier?«
Der Henkersknecht war sich sicher, den Herrn der Fronerei vor sich zu haben. Er hatte blondes Haar, einen vollen Bart und Arme, denen man zutraute, mit dem rechten Schwert einen Schafsnacken mit einem Hieb zu durchtrennen.
Mertens warf einen kurzen Blick zur Seite und sah, dass der Karren nun vom Hof geführt wurde. Dann wagte er sich näher an diesen großen Burschen heran. »Mein Name ist Peter Mertens, vormals war ich Henkersknecht in Walsrode.«
Der stämmige Mann musterte ihn einen Moment lang von Kopf bis Fuß, dann trat er ihm entgegen. »Und was willst du nun hier?«
Mertens lag die altbekannte Frage nach Annalena auf der Zunge, aber vielleicht war es besser, erst einmal eine Anstellung zu finden. Wenn sie in der Fronerei war, würde er sie dann so oder so zu Gesicht bekommen. »Ich wollte fragen, ob ein Knecht benötigt wird. Ich könnte Euch zur Hand gehen, in einer Stadt wie dieser werden die Dienste eines Henkers doch sicher häufig in Anspruch genommen.«
Der riesige Mann lachte auf. »Da sprichst du was Wahres. Nur sag mir, warum hast du deinen vorherigen Meister verlassen?«
Mertens presste die Lippen zusammen. Mit einem Zeugnis konnte er natürlich nicht dienen. Und genauso wenig konnte er erzählen, dass er seine Frau verfolgt hatte, die ihn beinahe umgebracht hatte und dann weggelaufen war. Aber was würde der Henker hier schon vom Henker in Walsrode wissen? »Mein alter Meister ist gestorben«, log Mertens also. »Ich wollte seine Stelle übernehmen, doch der Rat wollte sie mir nicht geben. Da bin ich weitergezogen.«
»Du bist ein Mann, der etwas erreichen möchte, wie?«, fragte Pötzsch und stemmte die Arme in die Seiten, als wollte er ihm gleich eine Abreibung verpassen.
»Nein, ich möchte nur mein Auskommen haben und meinem Herrn dienen. Dass ich selbst nach dem Schwert gestrebt habe, war töricht, aber damals wusste ich es nicht besser.«
»Nun, du scheinst zumindest ein ehrlicher Mann zu sein«, entgegnete Pötzsch. »Und so will ich
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