Das Krähenweib
wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Kein Herrscher kann einem Goldmacher widerstehen, der seine Kunst dem Augenschein nach so vortrefflich beherrscht.
Eine Absonderlichkeit habe ich ebenfalls zu berichten. Heute gelang es einem Mann, Zutritt zum Schloss zu erlangen. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, und ich bin mir auch nicht sicher, ob er ein preußischer Spion ist, doch er stellte sich mir als Dr. Pasch vor und behauptete, wenn ich nur gut mitspielen würde, könnte er mir den Weg in die Freiheit ebnen. Genauere Auskunft konnte er mir allerdings nicht geben, denn der Wächter trat zu ihm und schickte ihn fort.
Immerhin habe ich jetzt etwas Neues, worüber ich nachsinnen kann. Wird dieser Pasch wirklich versuchen, mich hier rauszuholen? Und wenn ich mit ihm gehe, was wartet dann auf mich? Die Freiheit oder der preußische Kerker?
Nachdem sie sich in aller Frühe erhoben und von Kunckel verabschiedet hatte, machte sich Annalena auf den Weg nach Dresden. Sie wollte dort nach dem Jungen sehen. Und sie musste sich einen Ort suchen, an dem sie bleiben konnte, bis Johann wieder frei war. Zu dieser Entscheidung war sie gestern Nacht gelangt. In Wittenberg konnte sie nichts ausrichten, im Gegenteil, vielleicht würde sie selbst gefangen gesetzt. Kunckel war jetzt ihre einzige Hoffnung auf Johanns Befreiung, also blieb sie am besten in seiner Nähe. Doch sein Gut war nicht der geeignete Ort für sie.
Glockengeläut tönte Annalena entgegen, als sie das Pirnaer Tor erreichte. Sie fragte die Wachen nach der Scheffelgasse und nachdem ihr die Männer in ihrem eigentümlichen Dialekt klargemacht hatten, in welche Richtung sie reiten musste, trieb sie das Pferd wieder an.
Die Scheffelgasse befand sich in der Nähe des Schlosses, zumindest wenn sie die Wächter richtig verstanden hatte. Annalena ritt an einer Kirche vorbei und über einen großen Platz und erreichte nach einer Weile den Marktplatz, auf dem sie dem Jungen geholfen hatte. Dort fragte sie einen alten Mann, der ihr schließlich den genauen Weg wies.
Als sie in die Gasse einbog, öffneten einige Frauen gerade die Fensterläden und nur knapp konnte Annalena dem gelben Schwall aus einem der Nachttöpfe ausweichen. Sie sah aufmerksam nach oben, um einen weiteren Zwischenfall zu vermeiden und fragte dann eine Frau, die ebenfalls gerade ihr Fenster aufriss, um das Nachtgeschirr zu leeren, welches Haus Tilman Heinrich gehörte.
»Dor Heinrisch wohnd zwee Häuser weider!«
Das Haus des Mannes unterschied sich nicht wesentlich von den anderen in der Nachbarschaft. Es war nicht klein, aber auch nicht groß, die Fassade war von Fachwerkbalken durchzogen, das Mauerwerk dazwischen weiß gestrichen. Eine Rose rankte an der Wand empor, anstelle der Blüten prangten jedoch dunkelrot leuchtende Hagebutten, die nur darauf zu warten schienen, von den Vögeln abgepflückt zu werden. Die Fensterläden waren geschlossen und von drinnen erklang kein einziger Laut.
War es so still, weil der Junge doch gestorben war? Annalena wurde unwohl zumute, und sie zögerte, vom Pferd abzusteigen.
Gewiss würde es keinen herzlichen Empfang für sie geben, wenn der Junge nicht mehr lebte. Vielleicht würde man ihr sogar die Schuld am Tode des Sohnes geben, obwohl sie versucht hatte, ihn zu retten. Bevor sie sich entschließen konnte, abzusitzen oder wegzureiten, wurde die Tür geöffnet und eine dunkle Gestalt trat ihr entgegen.
Der Mann trug einen schwarzen Rock, aus dem die hellen Rüschen seiner Ärmel und ein weißes Halstuch hervorschauten. Er trug auch heute eine Perücke, und das Gesicht darunter wirkte übernächtigt.
Annalena wusste nicht, wie sie ihn ansprechen sollte. Sie hätte ihm einen guten Morgen wünschen können, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Stattdessen trafen sich ihre Blicke, ohne dass einer von ihnen etwas sagen konnte.
»Wie geht es Eurem Sohn?«, brachte Annalena schließlich hervor und versuchte, das Pferd ruhigzuhalten. Absteigen wollte sie noch immer nicht. Wenn der Mann sie zum Teufel jagen wollte, würde es gewiss besser sein, gleich im Sattel zu sitzen.
Tilman Heinrich betrachtete sie ernst, doch ob das an Trauer oder nur Übermüdung lag, konnte sie nicht sagen. Endlich antwortete er: »Der Doktor meinte, dass Gott ihn wohl zu sich genommen hätte, wäret Ihr nicht gewesen. Er ist zuversichtlich, dass er wieder genesen wird.«
»Das freut mich zu hören«, entgegnete Annalena erleichtert und wollte dem Mann schon einen guten Tag
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