Das Krähenweib
ersten Blick war zu erkennen, wer welche Aufgabe innehatte. Auf einer Seite bereiteten die Mägde die Zutaten für die Speisen vor, auf der gegenüberliegenden Seite wurde das benutzte Geschirr aufgestapelt, damit es gewaschen werden konnte. Mittendrin, an Tischen vor der großen Esse, bereiteten die Köche das Essen zu. Da es noch früh am Morgen war, roch es nach Milch und Grütze und nach etwas Süßlichem, dessen Geruch Annalena an wilde Honigwaben erinnerte, wie sie sie früher zusammen mit ihren Brüdern im Wald gesucht hatte.
Derlei müßige Gedanken verschwanden sogleich, als ihnen ein Mann entgegentrat, dessen blütenweißes Hemd wie auch seine restlichen Kleider unter einer langen Schürze verborgen waren und der ein Tuch um den Hals gebunden trug. Annalena hatte ihn schon beim Eintreten bemerkt. Er war zwischen den Köchen und den Küchenjungen umhergeeilt und hatte an die jüngsten Burschen ein paar Kopfnüsse verteilt. Der Küchenmeister, denn um niemand anderen konnte es sich handeln, war das genaue Gegenteil vom Hofmarschall. Er schob einen Kugelbauch vor sich her und seine Wangen waren rund und rosig wie die Hinterbacken eines Ferkels. Sein blondes Haar lichtete sich an einigen Stellen, und die Haare, die er noch hatte, wurden grau, aber das schien ihn nicht weiter zu betrüben.
»Guten Morgen, Tilman, was führt Euch zu mir?«, fragte er, als er sie erreicht hatte. Offenbar kannte der Mann Tilman Heinrich recht gut.
»Ich habe hier ein neues Mädchen für Eure Küche. Der Hofmarschall sagte, ich solle sie bei Euch abliefern.«
Der Küchenmeister betrachtete sie eine Weile und sein Blick war zwar aufmerksam, doch auch freundlich. Noch bevor er den Mund aufmachte, schätzte Annalena ihn als einen herzlichen Menschen ein, der nur ungemütlich wurde, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Die Kopfnüsse bewiesen es. Annalena war nicht versessen darauf, ebenfalls welche zu bekommen. Sie machte einen Knicks und faltete die Hände sittsam vor dem Körper.
»Sie ist ein wenig dünn geraten, aber das zeugt gewiss davon, dass sie sich flink bewegen kann. Wo hast du bei deinem früheren Herrn gearbeitet?«
»In der Küche und auch außerhalb des Hauses.«
»Kennst du dich mit Kräutern aus?«
»Ein wenig.« Das war untertrieben, in Wirklichkeit kannte sie sich sehr gut aus, denn ihre Mutter hatte einen großen Kräutergarten gehabt. Natürlich diente er meistens der Küche, aber wichtiger war noch, dass ihr Vater dort die Pflanzen für seine Heilmittel gewann. Deshalb verschwieg sie ihr Wissen lieber, denn sie wollte sich nicht fragen lassen, woher sie es hatte.
»Und was ist mit dem Geschirr, hast du da Schaden angerichtet?«, fragte der Küchenmeister weiter.
»Nein, Herr, es ist alles heil geblieben.«
»Und aus welchem Grund bist du entlassen worden?«
»Sie wurde nicht entlassen«, schaltete sich Heinrich ein, denn er schien zu spüren, dass der Küchenmeister Annalenas Ehrlichkeit anzweifelte. »Sie ist fortgegangen, weil sie von einem ehrlosen Kerl an der Nase herumgeführt worden ist.«
»Dann lässt sie sich also gern mit Männern ein?«
Obwohl die Frage an Heinrich gerichtet war, antwortete Annalena. »Das ganz gewiss nicht, Herr. Ich wollte nur den einen und der ist nun nicht mehr bei mir. Und ich konnte auch nicht bei ihm bleiben.«
Sie spürte, wie sich ihr beim Reden eine beklemmende Schwere auf die Brust legte, wie sonst nur, wenn sie anfing zu weinen. Sie atmete tief durch, was Heinrich und der Küchenmeister als Versuch, sich von schlechten Erinnerungen zu befreien, deuten mochten.
Noch immer lag der aufmerksame Blick des Küchenmeisters auf ihr. »Der Hofmarschall hat dir doch sicher gesagt, dass du erst einmal auf Probe genommen wirst?«
»Nein, aber ich kann es mir denken, das war bei meinem vorherigen Herrn auch so.«
»Gut, ich gebe dir drei Monate Zeit, dich zu bewähren. Schaffst du es, werde ich dich hierbehalten. Aber ich erwarte von dir, dass du stets ordentlich und gründlich bist und keinen Schaden machst. Jedes Stück, das du zerbrichst, musst du ersetzen.«
Annalena nickte gehorsam. »Ich werde Euch nicht enttäuschen.«
»Dann folge mir, Mädchen.«
Annalena blickte noch einmal zu Heinrich und nickte ihm dankend zu. Dann schloss sie sich rasch dem Küchenmeister an, der bereits ein Stück weit voraus war. Er führte sie zu dem Tisch, auf dem das gebrauchte Geschirr abgestellt wurde. Zwei weitere Mägde arbeiteten dort, doch es war zu merken, dass sie die
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