Das Krähenweib
frische Austern, Fisch und Wein zu holen.«
Annalena hatte keine Ahnung, auf wie viele Meilen sich die Strecke belief, doch da selbst von Walsrode aus die Nordsee sehr weit war und Berlin auf halber Strecke zwischen Walsrode und Dresden lag, musste es ein sehr langer Weg sein.
»Und da bleiben die Austern frisch?«
»Sie werden in Wasserbottichen am Leben erhalten, das ist die einzige Möglichkeit. Sonst würde man sie schon riechen, wenn sie durch das Stadttor kommen. Hast du schon mal welche gegessen?«
Annalena schüttelte den Kopf. Solch einen Luxus gab es nicht in Henkershäusern, und Röber hatte nicht mehr Geld als nötig in Lebensmittel investiert. »Nein, das habe ich nicht. Aber ich habe die Leute mal davon reden hören. Austern sind eine Art Muscheln, stimmt’s?«
»Stimmt, und zwar die köstlichste Art Muschel, die es gibt. Seine Majestät liebt diese Speise, denn man sagt ihr nach, dass sie die Manneskraft verstärken soll.« Martha zwinkerte ihr anzüglich zu.
Annalena spürte plötzlich Hitze auf ihren Wangen.
»Wenn welche übrig bleiben, können wir uns vielleicht mal eine abzweigen und probieren«, fügte Martha hinzu, worauf eine andere Magd namens Lina meinte: »Als ob dir das gelingen würde! Die Pagen und Küchenjungen sind dreimal schneller.«
»Dann muss ich wohl einen von ihnen für mich gewinnen.« Martha grinste Annalena und Lina an. »Ich werde schon noch eine Auster bekommen, verlasst euch drauf!«
Die beleibte Magd schüttelte den Kopf, doch Martha schien voller Zuversicht, und ein verträumtes Lächeln stand auf ihrem Gesicht, während sie ihre Arbeit fortsetzte.
Am Abend zeigte Martha Annalena ihre Kammer. Sie teilten sich den kleinen Raum mit zwei weiteren Mägden, die Annalena ebenfalls in der Küche gesehen hatte, deren Namen sie bisher aber nicht kannte. Eine von ihnen hatte braunes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug, die andere war wie Martha blond, nur einen ganzen Ton dunkler.
»Das sind Nele, die eigentlich Cornelia heißt, und Katrin«, stellte Martha sie vor. »Und das ist Annalena. Sie wird den Platz von Gunda einnehmen.«
»Na, hoffentlich schnarchst du nicht so wie Gunda«, sagte Katrin mit einem breiten Lächeln und Nele fügte hinzu: »Wir hatten uns eigentlich gefreut, mehr Platz zu haben, aber du bist ja zum Glück nicht so dick wie Gunda.«
»Warum ist Gunda nicht mehr hier?« Annalena musste unwillkürlich an Marlies denken und drängte die damit zusammenhängenden Bilder erschaudernd zurück.
»Sie hat geheiratet«, antwortete Martha. »Einen der Kammerburschen hier. Der hat es lieber, dass sie zu Hause bleibt, zumal es schon vor der Hochzeit nicht zu übersehen war, dass sie ein Kind kriegt.«
Die Mädchen lachten auf, und Annalena tat so, als sei die Geschichte für sie ebenfalls ein Grund zur Fröhlichkeit, doch in Wirklichkeit wurde ihr das Herz schwer. Wahrscheinlich würde sie nie erfahren, wie es sich in einer guten Ehe lebte. Oder als Mutter. Nur der Himmel wusste, was mit Johann geschehen würde.
»Du solltest dich gut zudecken, neben Gundas Bett zieht es mächtig«, fügte Martha hinzu, während sie auf das Bett neben der Tür deutete. »Dafür biste aber schneller draußen, wenn’s brennt.« Die Bemerkung klang scherzhaft, aber Annalena nahm sie durchaus ernst, denn im Schloss hatte es ja schon gebrannt.
Nickend ließ sie sich dann auf ihren Strohsack nieder, um sich aus dem Kleid zu schälen, während die anderen Mädchen munter zu plappern begannen, unheimlich schnell und so dialektgefärbt, dass sie nahezu nichts verstand. Aber das störte sie in diesem Augenblick nicht, denn Annalena musste eine Antwort auf ihre dringlichste Frage finden: Wie verbarg sie ihre Narben am besten vor den anderen?
Sie musste ihren Rücken einfach bedeckt halten und hoffen, dass niemand Verdacht schöpfte. Sie band einen doppelten Knoten in die Schleife, die ihr Hemd zusammenhielt, damit es in der Nacht nicht verrutschte. Nachdem sie ihr Kleid über einen wackligen Stuhl gehängt hatte, legte sie sich auf den Rücken und starrte zur Decke, bis die anderen verstummten und sie endlich einschlafen konnte.
Die Kutsche mit dem Wappen des polnischen Königs war über und über mit Schmutz bedeckt und die Pferde schienen sie mit letzter Kraft zu ziehen. Der Kutscher war nach der langen Reise erschöpft, und nicht anders erging es dem einzigen Reisenden, der sich auf der harten Sitzbank den Hintern plattdrückte. Seit fünf Tagen waren sie nun
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