Das Krähenweib
Ich glaube nicht, dass sie ihn sehen will. Außerdem sagt man, sie habe inzwischen ihren eigenen Hof und auch etliche Günstlinge, die sie die Abwesenheit ihres Gemahls vergessen lassen.«
»Für solche Reden könntest du im Kerker landen!«, rief jemand aus der hinteren Reihe, doch Martha ließ sich nicht beirren.
»Warum denn? Ist es nicht die Wahrheit?«
»Vielleicht geht es auch um etwas anderes«, mischte sich Annalena ein, denn sie wollte nicht, dass ein Streit losbrach und der Küchenmeister ob des Gezeters ärgerlich wurde und sie wieder an die Arbeit schickte.
Erst nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie den wahren Grund für die Reise des Kurfürsten eventuell kannte. War er wegen Johann hier? Im besten Falle war es Kunckel gelungen, ihn freizubekommen. Wahrscheinlicher war aber, dass der Kurfürst für Johanns Abtransport aus Wittenberg gesorgt hatte.
»Und welchen Grund sollte es deiner Meinung nach geben?«, fragte Helene, eine etwas ältere Küchenmagd, die für das Putzen des Gemüses zuständig war und die meisten Frauen hier um mehr als einen Kopf überragte.
»Nun ja, es wäre doch möglich, dass es etwas Wichtiges zu besprechen gibt unter den hohen Herren«, antwortete Annalena. Sie würde auf keinen Fall preisgeben, dass sie einen Goldmacher kannte, der von zwei Königen begehrt wurde.
»Und was genau?«, hakte Helene neugierig nach.
»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Annalena und wusste selbst, dass sie sich ziemlich einfältig anhörte. »Aber solche Männer haben doch immer irgendwelche wichtigen Staatsgeschäfte zu erledigen, oder?«
»Na, wir werden wohl abwarten müssen«, stellte Lina fest. »Irgendein Kammerdiener wird schon was hören und dann plaudern.«
»Das wird gar nicht lange dauern, verlasst euch drauf!«, prophezeite Martha und deutete dann aufgeregt nach draußen, denn die Herren waren nun samt und sonders den Kutschen entstiegen und gingen über den Schlossplatz. Bei den vielen prachtvollen Gewändern, die die Männer trugen, war es zunächst schwer, den Kurfürsten unter ihnen auszumachen. Annalena hatte kein Auge dafür, welcher Stoff besonders kostbar war, aber schließlich erblickte sie einen Mann, der nahezu alle seine Begleiter um Haupteslänge überragte. Sein volles Haar wirkte auf den ersten Blick wie eine Perücke, sein Gesicht zeigte einen energischen Ausdruck und das Kinn stand ein wenig vor. Alle anderen Männer umringten ihn, so dass er das Zentrum eines edel gewandeten Männerhaufens bildete.
»Ist der große Mann da hinten der Kurfürst?«, fragte sie Lina neben sich.
»Natürlich ist er das, Kindchen! Ein schmucker Kerl, findest du nicht?«
Annalena antwortete nicht darauf, denn sie hatte die Frotzeleien über ihre Ähnlichkeit mit seiner Mätresse noch im Kopf und wollte ihnen nicht neuen Zunder geben.
Die Männer auf dem Hof bewegten sich auf den verbrannten Teil des Schlosses zu. Wahrscheinlich inspizierten sie die Bauarbeiten. Der Kurfürst entschwand ihren Blicken, dennoch sah sich das Personal nicht genötigt, vom Fenster zu verschwinden, bis hinter ihnen eine Stimme donnerte: »Donnerlittchen, das ist jetzt genug! An die Arbeit, aber flott!« Augenblicklich verteilten sich die Mägde, Küchenjungen und Köche an ihre Plätze.
Martha, Annalena und Lina machten sich daran, die gewaschenen Teller abzutrocknen, während der Küchenmeister durch die Reihen schritt und jedem über die Schulter blickte. Schließlich verschwand er wieder an seinen Platz und begann, die Speisenfolge zu planen, denn der Kurfürst hatte ihn beauftragt, für diesen Abend ein besonderes Mahl auf den Tisch zu bringen.
Annalena nahm sich einen Moment Zeit, um durchzuatmen, und betrachtete ihr Abbild in der spiegelnden Oberfläche der Teller. Sie fragte sich, wie sie wohl in Erfahrung bringen konnte, weshalb der Kurfürst hier war. Natürlich hatte es sie nichts anzugehen, wenn politische Gründe dahintersteckten, doch was war, wenn er wirklich wegen Johann hier war? Wenn er sich von ihm eine Scheune voller Gold erhoffte?
»Bist du eingeschlafen?«, blaffte der Küchenmeister plötzlich direkt hinter ihr. Annalena erschrak darüber dermaßen, dass ihr der Teller aus der Hand rutschte. Sie stieß einen Schrei aus, doch es war schon zu spät. Das Porzellan zerbrach auf dem Boden in hundert Teile.
Einen Moment lang blickte sie erschüttert zu Boden, und als sie den Kopf hob, um sich zu entschuldigen, traf sie eine Ohrfeige. Annalena
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