Das Krähenweib
schossen die Tränen in die Augen und sie legte ihre Hand auf die Wange, die wie Feuer brannte. Sie erinnerte sich, dass Martha sie gewarnt hatte, nicht das teure Porzellan fallen zu lassen, doch sie hätte nicht gedacht, dass sie sich deshalb einen Schlag einfangen würde.
»Sammle das auf und sieh zu, dass das nicht noch einmal passiert, sonst kannst du meine Küche gleich verlassen!« Der Küchenmeister, dem noch sichtlich der Schrecken über die Ankunft des Kurfürsten in den Gliedern steckte, blickte sie eisig an, verschränkte dann die Hände auf dem Rücken und ging weiter.
Während sie ihre Hand weiterhin aufs Gesicht presste, starrte sie dem Küchenmeister hinterher. Erst jetzt bemerkte sie, dass es rings um sie herum mucksmäuschenstill geworden war. Die meisten starrten sie an, einige sahen betreten zu Boden. Zorn stieg in Annalena auf. Hätte der Küchenmeister sie nicht angesprochen, hätte sie den Teller gewiss nicht fallen lassen.
»Mach dir nichts draus«, wisperte Martha und hockte sich neben sie, um ihr beim Aufsammeln zu helfen.
Annalena sagte darauf nichts und kämpfte gegen die drohenden Tränen. Sie sammelten alle Scherben in ihre Schürze, dann brachte Annalena sie fort. Eine der Scherben behielt sie jedoch.
Sie würde sie für immer an die Zeit hier erinnern – und daran, dass sie vorsichtig sein musste, egal in welchen Belangen.
Der Schmerz in ihrer Wange hatte nachgelassen, und auch die Rötung war nach einigen Minuten verschwunden, wie sie heimlich in der spiegelnden Oberfläche ihrer Scherbe überprüft hatte.
Sie hatte erwartet, dass sie der Küchenmeister nun stärker im Auge behalten würde, aber er behandelte sie wie immer, was hieß, dass er sie bis auf einen prüfenden Blick ab und an ignorierte. Die Vorbereitungen für das abendliche Mahl, das nun wegen des Kurfürsten üppiger ausfallen würde, nahmen ihn allerdings auch voll ein.
Annalena gab sich dessen ungeachtet trotzdem besondere Mühe, gründlich zu arbeiten, selbst, als sich ihre Gedanken wieder auf Johann richteten. Wieder ging ihr die Vermutung durch den Sinn, August könnte wegen ihm hier sein. Der Einzige, der ihr vielleicht darüber Auskunft geben könnte, war Kunckel. Sie musste also zu seinem Gut, nur wie sollte sie ihre Abwesenheit erklären? Vielleicht half ihr Heinrich mit einer Ausflucht? Er würde sicher Verständnis dafür haben, dass sie ihr Pferd ausreiten wollte. Allerdings bezweifelte Annalena, dass heute noch genug Ruhe ins Schloss einkehren würde, um sich unbemerkt davonstehlen zu können. Gewiss ließ man sie bis in die späten Nachtstunden Teller schrubben. Aber vielleicht konnte sie am Morgen ein paar Stunden abzweigen.
»Annalena, Martha, ihr helft beim Auftragen!«, tönte plötzlich die Stimme des Küchenmeisters durch den Raum.
Martha schien zu wissen, was das bedeutete, denn mit diesen Worten ging förmlich die Sonne in ihrem Gesicht auf. Sie riss sich mit einem breiten Lächeln die Schürze vom Leib. Als Annalena es ihr nicht sofort nachtat, fragte sie: »Worauf wartest du? Wir dürfen in die oberen Gemächer!«
Das bedeutete, dass sie den Kurfürsten sehen würde. Rasch zog sie die Schürze aus und folgte Martha. Wenig später trafen sie in einem Nebenraum des Speisesaales ein. Ein paar Kammerdiener waren bereits dort. Sie trugen feine Livreen und weiße Handschuhe und beaufsichtigten das Eindecken der Tische im Saal. Dass er inoffiziell hier war, hielt den Kurfürsten nicht davon ab, ein festliches Bankett auftragen zu lassen. Ein Mann trat den beiden Mägden schließlich entgegen. In seiner Livree hätte Annalena ihn bald nicht wiedererkannt.
»Herr Heinrich!«, rief sie aus und lächelte ihn herzlich an.
»Schön, Euch wiederzusehen«, entgegnete der Kammerdiener.
»Wie geht es Eurem Sohn?«
»Besser.« Ein Lächeln zog nun auch über Heinrichs Gesicht. Doch sogleich wurde er wieder förmlich, denn sie hatten keine Zeit zu verlieren. »Ihr und Martha werdet euch bei Thomas melden, ihr beide könnt die Blumengebinde verteilen.«
»Machen wir doch gern!«, entgegnete Martha und zog Annalena an der Hand mit sich. Während sie die Gebinde, die der Hofgärtner eiligst gefertigt hatte, holten und nach Heinrichs Anweisung auf die Tische setzten, beobachtete Annalena, mit welcher Sorgfalt die anderen Diener und Kammerjungen vorgingen, als sie goldene, silberne und Porzellanteller auf die Damasttischtücher legten. Den Tellern folgten Messer und seltsame Gebilde, die wie kleine
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