Das Krähenweib
nicht mehr wetzen.
Vor einigen Tagen hatte man Hinning verletzt nach Hause gebracht. Er hatte sich bei Holzfällern verdingt, die im Namen des Rates Bäume im Stadtwald schlagen sollten. Beim Arbeiten war seine Axt von einem harten Stück Stamm abgerutscht und in sein Bein gedrungen. Die anderen Holzfäller hatten die Wunde gewaschen und ihn gleich verbunden, doch das hatte nichts genützt.
Hinnings Frau Helga stürzte ihr entgegen. Das Haar, das sie sonst immer so ordentlich zusammengebunden trug, war zerzaust. Die blauen Schatten unter ihren Augen ließen vermuten, dass sie die ganze Nacht am Bett ihres Mannes gewacht hatte.
»Annalena, Gott sei Dank bist du da! Bis heute Morgen konnte ich noch zu ihm sprechen, doch jetzt sinkt er immer tiefer ins Fieber und sein Herz rast.« Helga ergriff ihre Hand und zog sie mit sich in die Schlafkammer.
Annalena erschrak, als sie die Wunde sah. Sie klaffte wie ein eitriges Maul auf, die Haut ringsherum war schwarz und geschwollen. Kein Zweifel, es handelte sich um Wundbrand.
»Wir müssen das Bein abnehmen«, stellte sie ohne Umschweife fest.
Helga schlug entsetzt die Hand vor den Mund. »Aber wie soll er dann arbeiten gehen?«
Annalena presste die Lippen zusammen. Wie sollte sie ihre Erwiderung weniger grausam klingen lassen?
»Das Wichtigste ist jetzt, sein Leben zu retten«, antwortete sie. »Sorge für heißes Wasser und saubere Tücher. Nimm aber keine guten, Blutflecke bekommt man nicht heraus.«
»Willst du nicht deinen Mann holen?«, fragte Martje, als sie zu ihnen trat, den Schürzenzipfel vors Gesicht gepresst, um sich vor dem Gestank zu schützen. »Er kennt sich gewiss besser damit aus.«
Die Henkerstochter schüttelte den Kopf. Martje sollte es besser wissen. Mertens hatte nicht das geringste Interesse daran, anderen zu helfen, und von allen Henkersleuten der Stadt kannte sie sich am besten mit dem Heilen aus. Nicht umsonst suchten die Leute immer wieder ihren Rat. Aber Annalena wusste, dass die Angst aus Martje sprach, also versuchte sie, sie zu beruhigen. »Ich kann es genauso gut. Außerdem wird er sterben, wenn wir das Bein nicht gleich behandeln. Ich hole nur schnell Messer und Säge, stellt derweil schon mal das Wasser bereit und legt einen Schürhaken zum Ausbrennen ins Feuer.«
Mit diesen Worten strebte sie der Tür zu, strich den Kindern, die sie mit fragenden Blicken musterten, übers Haar und verließ das Haus.
Annalena erklomm die Leiter zum Dachboden und öffnete die Luke. Die Luft war stickig. Der Geruch von Metall, Leder und altem Stroh mischte sich mit dem Gestank von Rattendreck. Um mehr Licht zu haben, öffnete sie die Kornluke am Giebel. Die hereinströmende frische Luft vertrieb den Gestank für einen Moment.
Annalena erschauderte, als ihr Blick den Stützbalken streifte, an dem einige Eisenringe befestigt worden waren. Einen Dämon hätte man hier festketten können!
Darunter lagen Messer, Beile und Sägen in grobgezimmerten Regalen und Kisten. Mertens’ Sammlung all dessen, was Menschen Schmerzen bereiten konnte, war beträchtlich und er pflegte sie mit mehr Geduld und Achtsamkeit, als er ihr jemals entgegengebracht hatte.
Annalenas Hände zitterten, als sie ein großes Messer und eine Säge auswählte, aber sie verbot sich jeden Gedanken an Mertens. Hinnings Leben hing nur von ihr ab, allein daran durfte sie jetzt denken.
Martje hockte mit den Kindern vor der Feuerstelle, als Annalena zurückkehrte. Verstohlene Blicke folgten ihr, als sie in die Schlafstube eilte. Helga hatte inzwischen ein gefaltetes Laken unter das Bein ihres Mannes gelegt. Als sie die Säge und das Messer sah, erbleichte sie.
Zuerst tastete Annalena die Wunde ab. Ihre Fingerspitzen sagten dasselbe, was ihr Kopf schon längst wusste. Ihr Blick wanderte zum Gesicht des Mannes, von dem der Schweiß in Strömen floss, dann suchten ihre Augen den Blick der Frau.
»Gibt es keinen anderen Weg?«, fragte Helga tonlos. Hoffnung hatte sie anscheinend nicht mehr.
Annalena schüttelte den Kopf. »Ich denke, es wird das Beste sein. So muss er sich nur ein Holzbein schnitzen. Wenn ich es nicht tue, wird das Holz für seinen Sarg gebraucht.«
»Dann sei Gott mit dir.«
Annalena nickte und wickelte das Messer aus dem Öltuch. Nur schwerlich konnte sie das Zittern ihrer Hände unterdrücken. Ihr Herz raste, und in ihrer Schläfe begann es wieder, unangenehm zu pochen. Sie hatte so etwas noch nie gemacht und fürchtete sich. Was, wenn sie etwas falsch machte? Ihr
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