Das Kreuz der Kinder
prallgefüllten Beutel heraus erwarb er sich eine
Schiffspassage auf einem Segler des Templerordens, ohne
lange zu fragen, wohin die Reise ging. Ihm war alles recht,
er hatte hier nichts mehr verloren – eigentlich trieb ihn nur
eine Sehnsucht, das war die, seiner lieben Herrin Melusine
de Cailhac wieder zu Diensten zu stehen, und da die junge
Dame unterwegs war nach Jerusalem, erschien ihm das
Schiff der Templer gerade das geeignete Mittel, sie zu
erreichen.
Er suchte sich gerade einen Platz an Deck aus – die
Mannschaft lichtete bereits den Anker –, als er sah, daß
auch der Herr Inquisitor wieder an Bord des Seglers ging,
mit dem er gekommen war. Daniel, der ›Legatus Domini‹,
begleitete seinen Vorgesetzten bis zum Kai. Monsignore
Gilbert de Rochefort kündete ihm an, daß er in Pisa von
zwei Handelsherren seines Vertrauens angesprochen
würde. Er, Daniel, solle dafür sorgen, daß deren
Anordnungen von den Kindern befolgt würden – und vor
allem, daß Niklas, dieser ›Heiler‹ nicht wieder von neuen
Visionen umgetrieben würde. Daniel verabschiedete sich
von dem fürsorglichen Monsignore. Stolz und Dank
erfüllten den somit bestätigten Legatus. Er versprach, alles
zur Zufriedenheit des Herrn Inquisitors auszuführen. Der
einzige, der ihn hätte warnen können, war der Mohr. Doch
der sah keine Veranlassung, wegen seines vagen
Verdachts, jetzt wieder von Bord des Templerschiffes zu
springen, zumal schon die Taue gelöst wurden. Hätte
Timdal auch nur im geringsten geahnt, wer in Pisa lauerte,
hätte er gewiß verantwortlicher gehandelt. So behielt er
seine Vermutungen, ja Befürchtungen für sich und kehrte
Genua samt den Deutschen den Rücken. Der Abzug der
deutschen Kinder war für den nächsten Morgen angesetzt.
Den mußte er, Timdal, nicht erleben – allein schon um
sein Gewissen nicht unnötig zu belasten.
Kaum hatte Rik van de Bovenkamp mit dem fremden
Herrn die Bibliothek betreten, schon erscholl aus der
Decke die Stimme des Emirs. Kazar Al-Mansur gab sich –
angesichts des hohen Gastes – Mühe verbindlich zu
bleiben.
»Ich kann nicht so lange auf die säumigen Deutschen
warten –.«, scherzte er, »kaum bin ich endlich Rik los, der
sich von der Dame Elgaine aus Rom in den tiefen Süden
verschleppen läßt…«
Sein Tonfall wurde gegen Ende doch ungnädig, »– da
soll ich auch noch die Irrungen der allerletzten Nachzügler
über mich ergehen lassen und mich geduldig für ihr
Weiterkommen nach Pisa erwärmen –.«
Der Besucher, ein hochgewachsener, schlanker Mann,
offensichtlich der angekündigte Gesandte, schaute zum
Loch in der Decke hoch und lächelte amüsiert.
Timdal erinnerte sich, daß er diesem überlegen
schweigenden Ritter bereits mehrfach in
unterschiedlichsten Rollen begegnet war, als er noch in
den Diensten der Marie de Rochefort gestanden; ihm kam
nur der Name nicht in den Sinn, konnte auch sein, daß er
nie gefallen war. Auch der Gast, den die übrigen nicht
kannten, zwinkerte dem Mohren freundlich zu, was der
zum Anstoß nahm, dem Emir da oben eine Antwort zu
erteilen.
»Edler Kazar Al-Mansur«, hob Timdal an, »Ihr vermögt
aber auch nicht schneller im Bericht an jene verehrte
Person zu gelangen, als der einzige Zeuge« – der Mohr
schlug sich stolz an die Brust – »reisen kann!«
»Beeilt euch gefälligst!« schnaubte es aus dem Loch in
der Decke.
Timdal verneigte sich tief. »Für Euch fliege ich übers
Meer, einer weißen Brieftaube gleich, vom Wind getragen
–.«
Sein Spott kam schlecht an.
»Ich wollte, ich könnt’ Euch nachträglich Flügel
wachsen lassen, diebische Elster meiner Geduld!«
Kazar Al-Mansur bedachte die Anwesenheit seines
Gastes. »So kann ich Euch nur Beine machen, um an den
Ort zu gelangen, an dem ich zum ersten Mal –.«
Timdal raffte all seine Narrenfreiheit zusammen und
unterbrach den Emir. »Wenn Ihr, edler Kazar Al-Mansur,
den Fortgang selber erzählen wollt, würdet Ihr mir eine
Last schwer wie ein Mühlstein vom Gemüt nehmen –.«
Der Lauscher schwieg, der Mohr seufzte tief und sicher
auch für dessen Ohr vernehmbar, er unternahm einen
letzten Anlauf. »Ihr könntet mir armem Narren die
Schilderung des Hergangs, wenn schon nicht ersparen, so
doch erheblich erleichtern –?«
Timdal hatte sich an taube Ohren gewandt, denn kurz
darauf betrat der Emir bereits den ›Saal der Bücher‹,
gerade als Rik den Chevalier Armand de Treizeguet als
Bevollmächtigten des
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