Das Kreuz der Kinder
Blick wanderte zu Daniel, der schon die Feder ins
Tintenfaß tauchte, aber am Emir vorbei zur offenen Tür
starrte. Dort war ein stummer Tumult entstanden:
Braungewandete Kapuzenträger bedrängten den
zurückgebliebenen Gesandten, während die Türwächter
vergeblich versuchten, die bärtigen Ulamat am Betreten
der Bibliothek zu hindern. Dann gelang es Luc, dem
Saifallah, wie er sich seit seiner Konvertierung zum Islam
nannte, durch Vermittlung des Armand de Treizeguet über
die Schwelle in den Raum zu stolpern.
»Aar ed-Din!« stieß er keuchend in Richtung des Emirs
aus. »Schande des Glaubens! Wie lange wollt Ihr noch
diesen Christenhunden schöntun?!«
Die Wächter hatten ihm nachgesetzt und zerrten an
seinem schäbigen Gewand. »Gleich, ob Ihr nun Spione von
der Insel empfangt –.« sein spitzer Finger wies in Richtung
des grinsenden Armand, »oder ob Ihr, Kazar Al-Mansur, es
nicht lassen könnt, diese alten Lügengeschichten
aufschreiben zu lassen, als wären sie die wahren Worte
Gottes, die nur der Prophet aleihi salam! –.«
Der oberste Türhüter warf sich jetzt auf ihn, daß
Saifallah zu Boden ging, sie packten ihn an Armen und
Beinen, während er weiter zeterte: »Es bleibt eine nicht
erlaubte Kollaboration mit dem Feind –.«
Des Emirs Stirn hatte sich zusehends verfinstert, jetzt
schwoll ihm die Zornesader, seine Hand flog gebieterisch
hoch, die Wächter verharrten mit dem sich windenden
Bündel. »Fesselt ihn und werft den Kerl in den –.«
»Gegenvorschlag!« fiel ihm der Gesandte ins Wort.
»Steckt ihm einen Knebel ins lose Maul und zwingt ihn
zuzuhören!«
Die Variante gefiel dem Emir. »Holt den Hundekäfig!«
befahl er den Wächtern. »Legt ihn so an die Kette, daß er
weder toben noch bellen kann, dann stellt ihn hier in die
Ecke!«
Die Wächter schleiften den Saifallah hinaus und
vertrieben auch seine Gefährten mit Stockhieben. Erst jetzt
erschien, aufgeregt angewatschelt, der Majordomus.
»Wenn man Euch braucht, Moslah«, empfing ihn Kazar
Al-Mansur, »seid Ihr nie zur Stelle – oder habt Ihr uns
diese Bande auf den Hals gehetzt?«
Der kugelige Moslah hob abwehrend die Hände. »Wie
könnt Ihr, hoher Herr –.«
»Laßt die Burschen in den Kerker schaffen!« schnitt ihm
der Emir das zu erwartende Lamento ab. »Dort sollen sie
tanzen, saufen und beten, bis wir der Anwesenheit des
Saifallah überdrüssig sind.«
Er maß seinen Majordomus mit strengem Blick. »Für die
Ausführung meines Befehls haftet Ihr mir mit Eurem
treuen Kopf!«
Damit war auch der Moslah entlassen. Kazar Al-Mansur
wandte sich an Rik. »In Anbetracht des neugewonnen
Zuhörers lege ich Wert darauf, daß Ihr mit dem Schicksal
der deutschen Kinder fortfahrt« – er musterte den Freund
mit zweideutigem Lächeln -»auch würde es mich freuen,
Rik, von Euren Gefühlen – von damals mehr zu erfahren!«
An Armand de Treizeguet gerichtet, setzte er hinzu: »Es
geht nicht an, daß hier nur meine Seelenqualen von dem
gescheiten Timdal vor allen ausgebreitet werden, während
sich andere in ihr Schneckenhaus zurückziehen –.«
Der Gesandte lächelte. »Ihr werdet sehen, Kazar AlMansur, das Rad der Geschichte, auf das wir geflochten
sind, läßt keinen ungequetscht!«
Wenn das schlimme Bild als Aufmunterung dienen
sollte, hatte Armand de Treizeguet die Belastbarkeit der
Gemüter der im ›Saal der Bücher‹ Versammelten
überschätzt, denn der Auftritt des Luc de Comminges war
allen auf den Magen geschlagen und die Aussicht, ihn jetzt
als stummen Zeugen in der Ecke hocken zu haben, schien
auch keinem erheiternd. Der Emir und der Herr Gesandte
hatten die ›Sala al-Kutub‹ wieder verlassen.
»Ich wette –.«, hielt sich ›Armin‹ verschwörerisch an
Rik, »wenn wir Pisa schnell hinter uns bringen und
erklären, wir müßten gezwungenermaßen nach Linosa
zurückkehren, daß der edle Kazar Al-Mansur uns alsbald
wieder von dem lästigen Ulama im Käfig befreien wird!«
»Ich habe zu Pisa sowieso nichts beizutragen«, erwiderte
Rik mürrisch. »Ich war nicht dabei, sondern befand mich
auf dem Weg nach Palermo, aber ich stimme Euch aus
dem Grund zu, daß wir den Linosa-Knoten schnellstens
durchhauen sollten, damit die liebe Seele endlich Ruhe…«
»… und Melusine in seine Arme schließen kann!« setzte
Daniel spitz hinzu.
»Rik will sich nur vor dem Sezieren seines liebenden
Herzens drücken!«›Armin‹ nahm jetzt die Zügel in die
Hand. »Palermo bleibt Euch
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