Das Kreuz der Kinder
Mit Beschämung stellte
sie fest, daß der Großwesir ihr nicht nur allen Schmuck
und kostbare Kleider belassen hatte, sondern ihnen noch
weitere Geschenke hinzugefügt. Sie hätte jetzt gern
losgeheult, vor Wut, aber der Auftritt des Komturs zwang
sie zur Haltung.
Der Komtur teilte ihr bündig mit, daß sie auf Linosa
›persona non grata‹ sei, für deren Sicherheit und sonstige
Bedürfnisse der Orden nicht aufkommen würde.
Bedauerlicherweise sei das Schiff, auf dem ihr Mohr
schon seine Passage ins Heilige Land bezahlt habe, bereits
weitergesegelt.
»Dann warten wir eben auf das nächste Schiff!« hatte
Melusine trotzig aufbegehrt, was dem Komtur noch mehr
mißfiel.
»Der Templerorden ist des weiteren kein gemeinnütziges
Transportunternehmen, das junge Damen, die es nach
Jerusalem zieht, zu Diensten steht. Unsere Schiffe sind
Bestandteil einer Kriegsflotte!« erklärte er markig und
machte auf dem Absatz kehrt.
Für den Abend besorgte Timdal im Hafen Fisch und
Käse, selbst einen guten Wein trieb er auf, dem Melusine
auch dankbar zusprach. Sie begaben sich spät zur Ruhe,
als das Treiben im Hafen zur Gänze erloschen war und nur
noch die klirrenden Tritte der Wachen auf den Mauern zu
hören waren. Melusine schaute noch einmal hinaus auf das
nächtliche Meer, wo die ägyptische Flotte in der
Dunkelheit auf das Auslaufen wartete, dann schloß sie die
Zeltplane und legte sich zu Bett. Timdal mußte sich ihr zu
Füßen lagern, denn sie fand keinen Schlaf. Unruhig wälzte
sie sich in ihren Kissen.
»Ich fürchte einen Überfall – noch heute Nacht!«
gestand sie dem Mohren aufgewühlt. »Ich bin mir ganz
sicher –.«
Ihre Stimme klang immer enttäuschter, als die Nacht
fortschritt und sich nichts dergleichen ereignete.
Irgendwann war sie eingeschlafen –.
Keiner der in der Bibliothek Anwesenden hatte bemerkt,
daß sich die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte und der
Emir sie beobachtete, vor allem den eifrig erzählenden
Mohren, als würde er seinem Ohr in der Decke nicht mehr
trauen. Der neugierige Lauscher entfernte sich jedoch
hastig, bevor noch sein Name fiel – nur Timdal war es
nicht entgangen, als Kazar die Tür leise hinter sich zuzog.
Dem Mohr fiel damit ein Stein vom Herzen, konnte er
doch nun, was die denkwürdige erste Begegnung anbetraf,
so recht in den Gefühlen der beiden Beteiligten wühlen,
wobei er jetzt auch keine Hemmung mehr empfand, sie
nach eigenem Gutdünken anzumachen wie einen
gemischten Salat, viel Öl fürs Gemüt, etwas Weinessig
fürs Herz, gestoßene Nüsse und geraspelte Kerne als
Würze beigegeben und reichlich in süßen Feigensaft
eingelegte Oliven als besondere Note seiner
ausschweifenden Phantasie. Er war derart stolz auf sein
Talent als Küchenmeister, auch wenn es sich nur um eine
Vorspeise handelte, daß er in einen Schwung geraten war,
der so schnell kein Ende gefunden hätte, wenn ihm nicht
›Armin‹ in die Parade gefahren wäre.
»Der Mohr offenbart sich hier als Folterknecht!« spottete
sie mit rauher Stimme. »Er will uns aufs Streckbrett
spannen, weil er sich nicht traut, dem Emir
Daumenschrauben anzulegen, aus elender Furcht, der
könnte ihn zum Obereunuchen nach Tunis zurückschicken
–.«
»Ich finde Timdal recht mutig«, warf sich Rik für den
Kleinen ins Zeug, »er legt hier für seine Herrin Melusine
Zeugnis ab, für den Widerstreit ihrer Gefühle –.«, Rik
suchte nach den rechten Worten, auch fiel es ihm nicht
leicht das Gehörte zu verdauen, »– schließlich ein
wesentlicher Charakterzug dieser ungewöhnlichen jungen
Frau, den Kazar Al-Mansur so sicher nicht kennengelernt
hat!«
›Armin‹ lachte rauh. »Schon damit die männlichen
Gegenspieler – beziehungsweise betroffene Männlichkeit
mit sich ins reine kommen, sollten wir unser Augenmerk
jetzt wieder, wenn schon nicht auf alle Deutschen, so doch
auf unseren Rik van de Bovenkamp richten –.«
»Kommt nicht in Frage!«
Der Emir hatte die Tür aufgerissen, hinter ihm erhob
sich die Gestalt des Armand de Treizeguet, des Gesandten
vom Königshof Siziliens. »Ich dulde keine
Unterbrechung!«
Kazar Al-Mansur zeigte sich weder umgänglich noch
diplomatisch. Die Erzählung war an einem Punkt
angekommen, wo glühende Pfeile von allen Seiten ihn
durchbohrten, ihm unter die Haut gingen, mit spitzen
Widerhaken an seinem Fleisch zerrten. Er stürmte in die
›Sala al-Kutub‹ und fuhr Timdal an: »Ihr harrt jetzt aus in
Linosa!«
Sein
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