Das Kreuz der Kinder
auf ihr damastenes
Lager und bearbeitete die Kissen mit ihren Fäusten.
»Er ist ein Tier!« keuchte sie wütend. »Ohne Sitte und
Bildung!«
Timdal widersprach: »Mir erscheint der Emir als ein
Herr durch und durch!«
Melusine stemmte sich aus den Kissen. »Ich fühle mich
nicht mehr sicher: Ich werde die Templer um Asyl
nachsuchen!«
»Tut das nicht!« riet ihr der Mohr vehement ab. »Ihr
würdet den Wesir aufs Gröbste verletzen!«
Er sah, daß er gegen ihren Dickschädel damit nicht
ankam. »Er hat uns seine Gastfreundschaft angeboten, sie
auszuschlagen mit der Begründung, daß Ihr ihm nicht
länger vertraut, ist wie ein Schlag ins Gesicht des alten
Mannes!«
Melusine blieb verstockt, die Begegnung mit dem Emir
war ihr – mehr noch als in die Glieder – ins Gemüt
gefahren, wie der Blitz, der in Kazar Al-Mansur
eingeschlagen war, als er Melusines ansichtig wurde. »Ich
könnte dem Komtur erklären, daß ich anderen Sinnes
geworden sei und in meine okzitanische Heimat
zurückkehren wolle?«
»In Euer Königreich von Aragon?!« spöttelte Timdal.
»Auch solltet Ihr bedenken – und zwar vorher –, daß der
Komtur nicht zu Euren Gunsten reagieren würde, denn mit
größter Wahrscheinlichkeit werden es sich die Templer
Euretwegen nicht mit Kairo verderben – und die Garnison
von Linosa schon gar nicht mit dem benachbarten Emir
von Mahdia –.«
Melusine ließ sich zurückfallen in die Kissen. »Ihr,
Timdal, wißt mir auch nicht zu raten«, seufzte sie. »Laßt
mich jetzt bitte allein.«
Der Mohr folgte der Aufforderung und verließ das ›Zelt
der Prinzessin‹.
Am Spätnachmittag, als endlich die Kühle der Schatten
eingetreten war und auch die frische Brise aufkam, hatte
der Wesir den Komtur des Templerordens an Bord seines
Schiffes geladen, um ihm ein Geschenk zu überreichen als
Anerkennung für die genossene Gastfreundschaft und um
sich von ihm zu verabschieden. Auch der Kommandant
der ägyptischen Flotte war zugegen, desgleichen der Emir
von Mahdia. Die Prinzessin war eigens vom Wesir
gebeten worden, die kleine Gesellschaft mit ihrer
Anwesenheit zu beehren, denn der alte Herr hatte
durchaus vermerkt, wie verstört Melusine auf die
unverhüllte Begehrlichkeit seines Neffen reagiert hatte,
weswegen Kazar Al-Mansur ein Tadel auch nicht erspart
blieb. Als Onkel vermochte er sogar Verständnis für die
Hitzigkeit des jungen Blutes aufbringen, als Erster Diener
des Staates mußte er derartige Unbeherrschtheit rügen. Die
Herren hatten sich bereits zum Tee niedergelassen, als
Melusine erschien. Der Großwesir hatte die Abreise im
ersten Morgengrauen angesetzt, um möglichst lange von
der Sonnenglut des Tages verschont zu bleiben.
Melusine nippte wortkarg an ihrem Minztee, die
angebotenen Süßigkeiten hatte sie schroff
zurückgewiesen. Sie vermied es mit Bedacht, den Emir
anzuschauen, aber auch den Blicken des besorgten Wesirs
wich sie aus – aus Scham! Als sich dann der Komtur
erhob, trat sie ihm in den Weg und sagte laut und deutlich:
»Ich stelle mich unter den Schutz des christlichen Ordens
vom Tempel zu Jerusalem!«
Eisiges Schweigen in der Runde. Der Großwesir war
tödlich beleidigt, eigentlich tief ins Herz getroffen, hatte er
Melusine gegenüber doch wie ein Vater gefühlt. Doch er
zeigte kühle Beherrschung. Während der Komtur noch
peinlich berührt und höchst ärgerlich Melusine
anherrschte, sie verwechsle wohl einen kriegerischen
Mönchsorden, eine reine Männergemeinschaft, mit einem
Konvent für alleinstehende junge Damen von Stand – was
aber auf Linosa nicht zu finden sei –, hatte der Großwesir
den Kommandanten seiner Flotte zu sich gewinkt und ihm
flüsternd seine Instruktionen erteilt. Fassungslos sah
Melusine, wie einige Bootsleute mit wenigen geschickten
Handgriffen ihr Zelt abbauten, zerlegten und die Planen
samt allem Inhalt, ihren damastenen Diwan inbegriffen, zu
einem Ruderboot verbrachten, dort verstauten und
Richtung Hafen ablegten. Keiner der Herren sprach noch
ein Wort mit ihr. Willenlos folgte sie der stummen
Aufforderung des obersten Leibwächters und ließ sich zu
einem zweiten Boot führen – Timdal war ihr wortlos
gefolgt –, das aber noch so lange im Hafenbecken
verweilte, bis das Zelt auf der Kaimauer wieder
aufgeschlagen war. Dann wurde die Prinzessin dort samt
ihrem Diener ruhmlos abgesetzt. Melusine flüchtete in das
Zelt, schon um den Blicken der Gaffer zu entgehen, die
sich im Hafen eingefunden hatten.
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