Das Kreuz der Kinder
großen Turban?« verfiel er blitzschnell wieder in seinen
scherzenden Ton.
Melusine sah ein, daß es keinen Sinn machte, zu
leugnen. »Mir scheint, es war einer meiner Pagen –.«, gab
sie nachdenklich zu, »ich war mir gewiß, daß er in die
Hände der Piraten gefallen oder ertrunken sei.«
»Dann soll er Euch sofort wieder zu Diensten sein!«
befand der Großwesir.
Doch bevor er noch seinen Wunsch, der dem Komtur ein
Befehl sein sollte, in die Tat umsetzen konnte, erschien
Timdal bereits mit dem nächsten Proviantschiff. Er hatte
im Hafen von der ›Königstochter‹ gehört und verhielt sich
entsprechend respektvoll, als er an Bord kam, er warf sich
vor seiner Herrin zu Boden und dankte Allah wortgewaltig
und voller Begeisterung für die ihm widerfahrende Gnade,
Melusine wieder zu Diensten sein zu dürfen. Timdal war
derart überwältigt von seinem unverhofften Glück, sie
wiedergefunden zu haben, daß er sich beherrschen mußte,
nicht vor Wonne zu kreischen. Der Wesir, dessen
Menschenkenntnis ihn die Gefühle des kleinen Dieners
wie auch seiner königlichen Herrin durchschauen ließ, war
gerührt. Selbstverständlich sollte Timdal Melusine ins
Heilige Land begleiten! Sofort wurde dem Mohren ein
Platz an Bord angewiesen, in nächster Nähe zu Melusines
Zelt, damit er ihr zur Hand gehen konnte. Ein großer Teil
der Nacht verstrich, bevor die beiden sich alles berichtet
hatten, was jedem von ihnen seit Marseille widerfahren.
Früh am nächsten Morgen erschienen Segel am Horizont,
genau die Art von Segeln, wie sie die Piraten benutzten,
denen Melusine gerade entkommen war. Doch weder bei
den Ägyptern noch auf der Zitadelle der Templer machte
sich Unruhe breit, denn die Boote, die da friedlich auf
Linosa zuhielten, waren nichts anderes als das
Vorauskommando der ägyptischen Flotte, die bald darauf
aus dem Dunst des anbrechenden Tages auftauchte.
Schwarz standen die Silhouetten der hochbordigen
Kriegsgaleeren gegen das goldgleißende Licht der
aufgehenden Sonne. Die ihr vorauseilenden flinken Segler
befehligte der junge Emir von Mahdia, ein Neffe des
Großwesirs, der gekommen war, seinen mächtigen Onkel
zu begrüßen. Kazar Al-Mansur waltete auf dem
entlegenen Außenposten des Ayubitenreiches als
Statthalter für Kairo. Die strategischen Interessen des
Sultans an der kargen, weit hinaus ins Meer ragenden
Felsnase waren relativ gering, wie Melusine beim hastig
anberaumten Morgenmahl für den Neffen aus dem
Gespräch mit dem Onkel entnehmen konnte, es ging wohl
mehr um den symbolischen Wert der Feste Mahdia, hatte
sich doch der legendäre El-Mahdi nach seiner Flucht aus
Mekka dereinst dort festgesetzt und die berühmte Dynastie
der Fatimiden begründet.
Melusine nahm diese Dinge nur durch einen
Nebelschleier zur Kenntnis, denn die glutvollen Blicke des
Emirs verwirrten sie zutiefst. Kaum war Kazar Al-Mansur
ihrer ansichtig geworden, stand er zwar seinem Onkel
noch Rede und Antwort, aber seine Sinne kreisten um die
junge Frau, seine Augen verschlangen sie – er konnte es
weder hindern noch verbergen! Die sonst so kecke
Melusine schwieg eingeschüchtert und hielt ihren Blick
gesenkt, schon um nicht in das Gesicht dieses Mannes
blicken zu müssen, der sich brennend nach ihr verzehrte.
Aber auch Kazar wandte sich im Gespräch nicht an sie,
wenngleich jedes seiner Worte nur dazu angetan schien,
das Weib zu umgarnen, in ein feines Gespinst silberner
Fesseln zu schlagen. Sie schnitten ihr ins Fleisch, zerrten
an ihrem Herzen, würgten ihren Atem wie Seidenschnüre,
daß ihr bange wurde, denn hinter dem ihren Besitz
heischenden Mann konnten nur schwere Ketten lauern, die
sie ihrer Freiheit beraubten – bestenfalls ein goldener
Käfig! Andererseits faszinierte sie diese Gestalt, so fremd
sie ihr war. Diesem Ansturm wollte sich Melusine nicht
länger aussetzen. Sie bat den Wesir um die Erlaubnis, sich
zurückziehen zu dürfen. Timdal folgte ihr.
»Der Mann macht mir Angst«, flüsterte Melusine ihrem
Vertrauten zu, kaum, daß sie das Zelt erreicht hatten.
»Seine Wildheit schreckt vor nichts zurück!« – sie sann
dem Gedanken ihrer eigenen Flucht nach – »Schutz
suchend würde ich in seine Arme flüchten!«
Timdal verkniff sich ein Grienen. »Seine ungezügelte
Männlichkeit hat Euch Schrecken eingejagt –.«
Er wollte noch hinzufügen, daß dieser Sohn der Wüste
nicht vergleichbar war mit ihren bisherigen Verehrern,
doch Melusine warf sich plötzlich
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