Das Kreuz der Kinder
fortzufahren.
»Ihr wollt Palermo gern überschlagen, Rik«, stichelte
›Armin‹ giftig zurück. »Ich gebe Euch nur die Zeit, die Ihr
braucht, um Euch Eure Rolle zurechtzulegen, denn dann
geht es Euch an die Eier!«
»So spricht nur eine, die keine hat!« krähte Timdal frech
dazwischen, »– sich aber gern die Hosen anzieht!«
»Der Mohr weiß, wovon er spricht«, ließ sich jetzt auch
Daniel vernehmen. »Nichts als ein Loch im Schritt, kann
nur zu blankem Schwanzneid führen oder zu ätzender
Mißgunst!«
Der Schreibsklave mußte jetzt seinen Zorn auf die
Styrum herauslassen, die kaum ein gutes Haar an ihm, den
›Legatus Domini‹ gelassen hatte. »Es riecht wie Fisch in
abgestandener Pisse!« sattelte er noch obendrauf und
schmetterte Schreibwerkzeug zu Boden.
Die Styrum war blaß vor Wut, Rik ging dazwischen, als
sie sich auf den schmächtigen Schreiber stürzen wollte.
»Habt Ihr beide vergessen?!« polterte er Daniel an,
»welche Regeln uns der Emir gegeben?!«
Auch Timdal mischte sich ein: »Was auch immer an
Gehässigkeiten vorgebracht wird, der Protokollant bringt
es zu Papier! Was dann allemal dem Schreiber dazu
einfallen mag, fügt er schweigend schriftlich an! So
gewinnen Emir und Islam einen höchst ergiebigen
Einblick in Gemütslage und Seelenverfassung der hier
Besprochenen wie der Sprechenden, die wir stellvertretend
für das Christentum des Abendlandes stehen.«
»Schau, wer spricht!« keuchte die Styrum haßerfüllt.
»Warum muß ich mir das gefallen lassen?!«
»Fragt lieber, ›Armin‹, warum Ihr Euch das antut?!«
»Ihre Eitelkeit überwindet die üblichen Grenzen
menschlichen Schmerzempfindens«, spottete Daniel.
Rik wies ihn an, sich wieder an sein Schreibpult zu
begeben und wandte sich zur Styrum: »Faßt Euch
kurz!«sagte er gerade – in der Hoffnung, der
streitsüchtigen ›Armin‹ würde dann weniger Zeit bleiben,
ausfällig zu werden –, als der Moslah in den Saal der
Bücher schlurfte. Er trug ein Pergamentenbündel,
verschnürt und versiegelt, das er Rik van de Bovenkamp
mit spitzen Fingern übergab. »Der edle Kazar Al-Mansur
befiehlt, dieses Dokument in Eure Chronik
aufzunehmen!«
Er schenkte dabei weder ihm noch sonst jemandem
einen Blick, einzig den Käfig mit dem Saifallah streifte er
mit hochgezogener Augenbraue, dann watschelte er
wieder hinaus, kaum den Eindruck hinterlassend, die hier
versammelten Christen besonders in sein Herz geschlossen
zu haben.
Rik brach das Siegel auf und wickelte einen Packen eng
beschriebener Blätter aus.
»Die Schrift scheint die einer Frau zu sein!« glaubte der
neugierige Mohr feststellen zu können.
»Dann ist es nur recht und billig«, griff Daniel den
Faden auf, »daß die einzige Vertreterin holder Weiblichkeit, ›Armin‹ von Styrum, uns den Inhalt vorträgt.«
Rik nickte, ›Armin‹ riß ihm die Seiten aus der Hand und
verlas stockend den Titel…
Einsichten einer jungen Jüdin angesichts
der Großen Hure Rom
Bericht der Miriam Melchsedek
Als die grobe Hand des glatzköpfigen Goi die Klinge
seines Dolchs ungerührt durch die Wölbung des
zurückgebogenen Halses meiner Schwester zog und ihr
Blut schneller den fratzenbedeckten nackten Arm ihres
Schlächters hinaufpeitschte, als mir vergönnt war, die
Augen vor dem Entsetzen zu schließen, kam mir gewiß
nicht in den Sinn, daß ich dereinst die Schwelle des
Hauses überschreiten würde, in dem ›das Tier‹ haust, das
Ungeheuer auf dem Stuhl des Petrus.
Ich war in Rom, dem Ort, wo die vielarmige, mit Blutschleim besudelte Krake saß, deren grausam schimmernde
Fänge meine Schwester Esther erwürgt hatten.
Ich, die Überlebende, die Jüdin Miriam, war in den
marmornen Tempel der allein schuldigen, tausendmal
schuldigen Hure der Christen eingetreten.
Der Papst wohnte weder in Sankt Peter, wie Niklas
enttäuscht erfahren mußte, noch in einem der Paläste, die
jene Basilika außerhalb der Mauern Roms umstehen. Doch
begab der Heilige Vater sich täglich dorthin, um zu beten
und der Messe beizuwohnen. Auch konnte man nicht mit
der Kutsche dort vorfahren, sondern mußte weit vorher
aussteigen und sich zu Fuß durch die engen Gassen
drängeln, wie es Pilger aus aller Welt taten. So nahmen die
beiden Damen und der Heiler Quartier in einer Herberge
des Hafenviertels am Tiber, wo auch viele Juden lebten,
wie Miriam erfreut feststellte. Sie gab sich jedoch nicht als
Jüdin zu erkennen, sondern ließ sich lieber als Kebse des
Niklas
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