Das Kreuz der Kinder
Manns genug?!«
Doch darauf ging Blanche nicht ein. »›Armin‹ ist
eigentlich eine Frau!« trug sie wenig zur Klärung bei, doch
Abdal sah sofort zwei Vögel mit einer Klatsche geschlagen,
asfourèn bi hajar! Wenn Zahi Ibrahim noch in der Lage
war, den kleinen Unterschied auszuloten, hatte er eine,
wenn auch knochige Bettgefährtin; merkte er es nicht, war
er mit dem durchaus männlich und zupackend wirkenden
Sklaven allemal noch gut bedient. Für die Styrum gab’s
keine Gegenofferte, der Hafside erwarb ›Armin‹ zum
Niedrigstgebot und drückte sie dem erstaunlicherweise
freudig überraschten Hadj Zahi in die Arme, der beglückt
sofort mit ihr abzog. Vor Aufregung vergaß er sogar, sich
bei Abdal zu bedanken und sich von seinem älteren Bruder
zu verabschieden. Abdal war gerührt von dem guten Herzen
seiner Blanche, und nachdem er befriedigt festgestellt hatte,
daß ihr Blondhaar echt war, ließ er sie ankleiden und hielt
sie auch noch für gescheit.
Auch Miriam bestand vor seinem Kennerblick. Er wollte
die Jüdin gerade mit seinen besten Empfehlungen
hinüberschicken zu dem gegenüber auf den Stufen
kauernden Ezer Melchsedek, der untröstlich sein Gesicht
in den Händen vergrub, wenn er nicht gerade sehnsüchtig
auf die entgangene Braut starrte, als Bewegung an der
Rampe entstand, die aus der Tiefe hinaufführte.
Aller Aufmerksamkeit richtet sich nun auf das grob
zusammengefügte Holzkreuz, das von den Bütteln des
Marktes herangeschleift wird. Ihm folgt, an langem Strick
geführt wie die einzige Geiß armer Leute, gebeugt und
schweren Schritts Étienne, nackt bis auf einen Schurz um
die Hüfte. Striemen auf Brust und Rücken zeigen, daß man
ihn ausgepeitscht hat, aber er hält sich aufrecht, bis er zum
Kreuz gezerrt wird. Die Büttel drücken ihn rücklings auf
die Balken in Kreuzform, reißen ihm die Arme auseinander
und binden seine Füße. Mit Zimmermannshämmern treiben
sie je einen kräftigen Nagel durch seine Handgelenke und
einen einzigen durch beide Fußwurzeln. Sein Schreien wird
erstickt durch ein auf Mund und Nase gepreßtes Tuch.
Dann wird das Kreuz des Schachers mitsamt dem
ausgemergelten Leib mit Stangen und Seilen aufgerichtet
und sein Stamm in dem vorbereiteten Loch festgestampft.
Das anfänglich vereinzelte Johlen der Menge ebbt ab,
geht über in ein Geraune ansteigender Spannung. Die
erregten Menschen nehmen Miriam und Blanche erst wahr,
als die beiden Frauen längst ihr Prunkkissen verlassen
haben und gemessenen Schritts die letzten Stufen der Ränge
herabschritten. Höhnisches Protestgeschrei und schrille
Pfiffe gellen ihnen entgegen, aber da hebt der Oberhofkämmerer gebieterisch die Hand, und keiner wagt es, sich
ihnen entgegenzustellen. Unbeirrt gehen sie durch die
Mauer des neugierig feindseligen Schweigens bis sie am
Fuß des Kreuzes anlangen, wo sie still niederknien. Der bis
dahin vor rasenden Schmerzen den Kopf wild hin und her
werfende Étienne beruhigt sich. Die beiden Frauen beten
leise, der Kämmerer verkündet – ob beeindruckt oder verärgert – mit lauter Stimme: »Allahu akbar! La illaha illallah!
– Allah ist größer! Es gibt keinen Gott außer Allah.«
Das Haupt des Étienne neigt sich zur Seite und fällt
schlaff der Schulter entgegen. Es tritt jene Stille ein, wie
sie nur die Ehrfurcht vor dem Tod einzufordern vermag.
In das Schweigen hinein, das auch die Versammelten in
der Bibliothek ergriffen hatte, sagte Alekos, der Autor des
Berichts: »Ich will mich bei Miriam für den Vortrag des
Textes bedanken« – der Grieche unterbrach, plötzlich
hilflos, als er sah, daß der forschen Sajidda Blanche die
Tränen herunterrannen, fuhr aber fort, als die ihm trotzig
zuwinkte, sich nicht darum zu kümmern –, »indem ich
nachtrage, daß sie, dem Ezer Melchsedek vorgestellt –.«
Alekos hatte den Faden verloren, Miriam, die der
Sajidda den Arm um die Schultern gelegt hatte, sprang
ihm bei: »Es war Liebe auf den ersten Blick«, sagte die
Jüdin stolz, »und hat bis heute nichts an ihrer Kraft und
Zuversicht verloren!«
Der Grieche hatte sich wieder gefangen, er wußte, daß
allen daran lag, die Geschichte abzuschließen. »Blanche
hatte mit ihrem Auftreten den Respekt des mächtigen
Hafsiden eingefordert und errungen und damit auch ihre
herausragende Stellung in dessen Harem.«
Er lächelte der Sajidda zu, die längst ihre Tränen wieder
getrocknet hatte. »Sie konnte ihrem Herrn und Gebieter
damals schon in Bejaia
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