Das Kreuz der Kinder
als
vordringlich erachteten. Zur großen Freude des Ahmed
Nasrallah begrüßte Rik ihn in fließendem Arabisch, und
verliebt wie ein junges Weib führte er den blonden Recken
in den stillen Rosengarten, um sich mit ihm im Gespräch
zu ergehen, vor allem um Riks Geschichte zu hören. Wie
ein sorgender Vater legte er seine fleischige Pranke um die
kräftigen Schultern des Deutschen und zog ihn in eine
verschwiegene Laube. Dort, im Schatten von Palmen und
im Duft der Jasminhecken, faßte Rik soviel Vertrauen zu
dem mächtigen Koloß, daß er ihm freimütig von seiner
ersten Begegnung mit Melusine erzählte, wie er sie aus
den Flammen ihrer Burg rettete, aber im Verlauf der
Kriegswirren sofort wieder verlor. Überall auf der Welt
habe er sie gesucht, denn in sie hatte er sich verliebt, und
er denke, daß auch sie ihn immer noch in ihrem Herzen
bewahre. Ihretwegen habe er sich dem Kreuzzug
angeschlossen, weil er gehört habe, daß auch sie ein Schiff
bestiegen habe, um das heilige Jerusalem zu erreichen.
Über alle Meere der Welt wolle er fahren, um Melusine
endlich wiederzusehen.
Dem Obereunuchen fiel es wie Schuppen von den
Augen, das konnte nur das junge Weib sein, daß Kazar AlMansur, der Emir von Mahdia, erbeutet hatte und dem er
derart verfallen war, daß er seine eigene Freiheit in die
Waagschale geworfen hatte, um ihr die Flucht nach
Mahdia zu ermöglichen, wahrscheinlich hatte er die
Prinzessin geschwängert und opferte sich für den zu
erwartenden Sohn. Als umwerfende Schönheit hatte
Ahmed Nasrallah sie nicht in Erinnerung, eher von einer
für Frauen unziemlichen Freizügigkeit und starkem
Selbstbewußtsein, aber ›Melusine‹ hieß sie, den Namen
hatte er nicht vergessen.
Das andere Gefühl, das ihn überkam wie ein Schwall
kalten Wassers mitten ins Gesicht, war die grenzenlose
Enttäuschung über das törichte Verliebtsein des
Deutschen. Plötzlicher Haß überwältigte ihn, auf dieses
Weib, den Emir und jetzt auch auf diesen blonden
Dummkopf. Der Eunuch ließ sich nichts anmerken,
freundlich begleitete er Rik zurück ins Haus und erklärte
den Ibrahims, daß die Fortschritte ihres Schülers zwar
lobenswert, aber noch keineswegs ausreichend seien für
die Aufgaben, die er ihm zugedacht.
Der Kabir at-Tawashi kehrte nach Tunis zurück. In
seinem Kopf ordneten sich die spontanen Rachegedanken
zu einem wohlüberlegten Plan, den Emir hatte er ja
schließlich hier in seiner Gewalt, so daß jede auf dem
Felsenriff weilende oder dorthin geschickte Person als
Spielball seines erfinderischen Geistes denkbar war -
Im Harem von Mahdia überlegen sich derweil Melusine
und der Mohr Timdal fieberhaft, welcher Anlaß den
Majordomus wohl dazu bewegen könnte, Timdal nach
Tunis auf die Suche nach Kazar Al-Mansur zu schicken.
Daß der Emir dort nicht aus freien Stücken weilte, sondern
gewiß von diesem Ahmed Nasrallah an seiner Heimkehr
gehindert wurde, war beiden klar. Ihren Plan den
Majordomus wissen zu lassen, der ja irgendwie mit dem
Eunuchen unter einer Decke steckte, war allerdings nicht
ratsam.
Schließlich hatten sie die haarsträubende Geschichte
ausgeheckt, daß der Emir nachts maskiert durch eine
Geheimtür in die Kemenate von Melusine getreten sei und
sich ihr zu erkennen gegeben habe. Als Grund für sein
langes Fernbleiben und auch für das vorläufige Verharren
im Verborgenen habe Kazar angegeben, Feinde würden
nach seinem Leben und nach seinem Besitz trachten. Er
habe aber dennoch nach dem Wohlbefinden seines
geliebten Weibes schauen wollen, nach dem Fortschreiten
ihrer Schwangerschaft – sowie er sich auch von der
rechtschaffenen Wirtschaft durch den Majordomus
überzeugen wollte, von dem der Emir erwartete, daß er die
Ehre seines Hauses hochhielt. Da Timdal aus eigener
Erfahrung davon ausging, daß sich der bestechliche
Moslah ständigen Unterschleifs schuldig machte, hofften
die beiden Märchenerfinder, daß dies genug an Bedrohung
für den Majordomus darstellen würde, er also ein Interesse
daran haben müßte, zu wissen, woran er sei. Diese
gespenstische Begebenheit sollte Timdal dem Moslah
unter dem Siegel der Verschwiegenheit baldigst
anvertrauen.
Doch der Zeitpunkt war schlecht gewählt, und die
hanebüchene Geschichte der beiden ›sana’in alkhourafat‹
wäre fast ins Auge gegangen. Der Moslah hatte
mittlerweile die Folter seines Häftlings derartig perfide
verstärkt, daß der verzweifelte Pol nicht länger einsah,
warum er
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