Das Kreuz der Kinder
solches Arsenal des Schreckens?«
Timdal bemühte sich Ernsthaftigkeit zu zeigen.
»Der Fallensteller will mich glauben machen, daß die
Frau im Harem eine verruchte Hure, dem Emir eine
Schande und daher des Todes sei, tausendfach verdient!«
»Erstunken und erlogen!« erregte sich der Mohr.
»Melusine hat sich keinem Mann hingegeben, bevor der
edle Kazar Al-Mansur sie zum Weibe nahm! Trotz ihrer
bewegten und ungewöhnlichen Vergangenheit, trotz aller
Abenteuer und Nöte, war sie unberührt geblieben! Dafür
leg ich meine Hand ins Feuer«
»Darum geht es nicht, bismil Allah!« widersprach ihm
der Moslah mit zitternder Stimme. »Mir wird zugemutet,
ein Strafgericht abzuhalten, das den Emir in die Hölle der
Verzweiflung stürzen soll und mich den Kopf kosten
wird!«
»Ignoriert den Brief, verbrennt das Machwerk!« schlug
Timdal vor, der Baouab schüttelte sein Haupt. »Es bleiben
immer noch lebende Beweise der unbewiesenen, aber
bösartigen Anschuldigungen. Wenn ich sie ignoriere,
mache ich mich mit ihrem Frevel, dem unzweifelhaften
Anschlag auf die Ehre des Emirs gemein – dafür läßt man
mich am Bab Zawila baumeln, bis die Krähen meine
Augäpfel aus ihren Höhlen gehackt –.«
»Werft Rik van de Bovenkamp« – es machte für Timdal
keinen Sinn mehr, seine Kenntnis zu vertuschen – »zu Pol
de Morency in den Kerker. Dort sollen sie warten, bis der
Emir über ihr Schicksal entscheidet – oder jagt sie beide
davon!«
Der Mohr unternahm einen letzten Versuch, die
Situation zu entschärfen. »Laßt sie überraschend
entfliehen!«
»Dann kann ich sie auch gleich von den Mauern stürzen
lassen«, entgegnete der Majordomus wenig überzeugt, »–
und mich dazu!«
Er betrachtete den Mohren abschätzig. »Sollte es Euch in
den Sinn kommen, mir das Weib im Harem mit Wissen
dieser Geschichte auf den Hals zu hetzen, dann seid Ihr
der erste, der die Höhe des Bab Zawila im freien Fall
ausmessen darf!«
Timdal nickte eifrig, um zu zeigen, wie sehr ihn diese
Ankündigung einschüchterte. »Das Gleiche gilt, wenn Ihr
noch einmal den Versuch unternehmt, mit den Gefangenen
im Kerker Verbindung aufzunehmen.«
Timdals Gleichmut knickte ein, die zweite Warnung ließ
ihm nicht mehr viel Spielraum.
Die Verliese befanden sich in den Kasematten des
›Palastes des Prinzen‹, des starken Eckbollwerks zwischen
der Außenmauer der Moschee und dem weiteren Verlauf
der Befestigungsanlagen, die das gesamte Riff umfaßten.
Rik und Pol waren die beiden einzigen Gefangenen in den
Gewölben des Qasr al-Amir, dessen Schießscharten auf
den offenen Fischerhafen hinausgingen. Sie waren jeder
mit einem Fuß an eine Säule angekettet, und die Ketten
waren so bemessen, daß die beiden Gefangenen sich nicht
berühren konnten. Sie waren schnell ins Gespräch
gekommen, aber erst das Durchforsten der eigenen
Vergangenheit hatte die Stadt Bordàs und den Wald von
Farlot zutage gebracht. Obgleich sie damals auf bitter
verfeindeten Seiten standen und kein Anlaß zu darüber
hinausgehender Gemeinsamkeit bestand, gelangten sie
endlich zu der verhaltenen Fragestellung: ›Melusine de
Cailhac – Habt Ihr sie gekannt?‹
Der Ort, an dem Rik und Pol sich befanden, sollte
Eifersucht gar nicht erst aufkommen lassen, auch wenn sie
sofort die Hinwendung zu der jungen Dame als
eigentlichen Grund und zumindest aktuellen Anlaß ihrer
Lage ausmachten.
»Ihr mögt es Minnedienst nennen, Rik«, versuchte Pol
sich sofort abzugrenzen. »Ich verehre Melou aus tiefster
Seele!«
Rik zwang sich ein überlegenes Lächeln ab. »Mir raubte
die Wilde eher den Verstand«, hielt er dagegen, »aber sie
schenkte mir dafür ein Gefühl, das ich zuvor nie gekannt–
«, sinnierte er, »obgleich ich sie nur das eine Mal in
meinen Armen halten durfte, als ich die Widerspenstige
aus den Flammen der Burg d’Hautpoul rettete –.«
»Und wer rettet sie jetzt?!« fuhr ihm Pol in das schöne
Bild. »Ihr wißt ja sicher schon, daß Melusine nur etliche
dicke Gesteinsschichten und Hohlräume über unseren
Köpfen gefangengehalten wird, im Harem des Emirs –?!«
Rik war wie vor den Kopf gestoßen, nicht wegen dieser
Eröffnung, sondern ihn zutiefst verwirrend kam hinzu,
was er in Tunis von den Ibrahims aufgeschnappt hatte,
über den unfreiwilligen ›Gast‹ des Kabir at-Tawashi.
»Kazar Al-Mansur?«
So unnötig Rik die Frage erschien, er wollte sie bestätigt
hören.
Pol nickte grimmig.
»Aber der ist doch selbst ein
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