Das Kreuz der Kinder
dort ein Licht von oben hinter dem
Gitterwerk hinabzugleiten schien, es verhielt dann auch
flackernd in Augenhöhe, ein Wispern war deutlich zu
vernehmen.
»Die Rachegeister des Mißbrauchs von Feder und
Tinte!« drohte Timdal scherzend dem schluchzenden
Mönch, »sie bereiten sich vor, Eure sündige
Schreiberseele –.«
Da heulte Marius erst recht auf.
Rik war wütend, aber gerade jetzt konnte er den frechen
Mohren nicht zum Teufel jagen, hatte er doch soeben zu
Protokoll gegeben, mit seinem Compán Oliver im tiefen
Wald herumzuirren, weitab von der Stadt Bordàs. Er
brauchte Timdal, aber auch jemanden, der alles
niederschrieb. »Nehmt ein neues Blatt, lieber Marius,
trocknet Eure Tränen nicht mit dem Löschsand, sondern
Eurem Schnupftuch –.«, sagte er, als er sah, daß der
Mönch dies dazu verwandte, das Pergament abzutupfen,
was sicher das Geschmier nur noch verschlimmerte.
Timdal unterließ jetzt alles, was Marius noch weiter
verunsichern konnte, und diktierte in rücksichtsvoller
Bedächtigkeit seinen Beitrag zum unheilvollen Geschehen
in der eroberten Stadt. Rik hörte nur mit halbem Ohr hin;
ihn beschäftigte das geheimnisvolle Innenleben des
hölzernen Aufzugs. Eine flüsternde Stimme schien wie ein
Echo alles zu wiederholen, was der Mohr in der Sala alKutub von sich gab, Schatten bewegten sich vor der
Lichtquelle im Innern des Schranks. Der wies zwar einen
Schlitz auf, in den er, Rik, als der für alles
Verantwortliche im Saal der Bücher die beschriebenen
Pergamente schieben sollte, wenn das Tagespensum
geleistet war. Aber dahinter mußte noch ein ganz anderer
Mechanismus versteckt sein, vielleicht doch etwas
Diabolisches, auf das sich der Emir eingelassen hatte.
Endlich hatte Timdal geendet, Rik wollte gerade den
erschöpften Mönch von den Zeugnissen seiner
Schreibkunst befreien, als Kazar Al-Mansur wie auf
Kommando in der Tür erschien. Ungehalten wies er den
Mohren und Marius aus dem Raum, während Rik gebannt
verfolgte, wie – kaum hatte der Schlitz die Blätter
verschluckt – sich rumpelnd hinter der Schrankwand der
Aufzug in Bewegung setzte, das Lichtlein emporschwebte,
dann verlöschte »Vor Euch, mein Freund, will ich keine
Geheimnisse haben«, begann der Emir verschwörerisch.
»Dem Können des Mönchs mochte ich nicht länger
vertrauen, andererseits war es mir jedoch zu wichtig, die
Texte der Berichterstattenden zweifelsfrei festzuhalten –.«
Er grinste den Freund verschmitzt an. »Ich habe
deswegen den hochbegabten Mustafa verpflichtet, jedes
Wort mitzuschreiben!«
»Wie?!« entfuhr es Rik. »Der Fettwanst hockt in dem
Käfig, bei Kerzenlicht und –?!«
Beglückt über seinen Streich nickte der Emir. Was er
Rik verschwieg, war, daß der korpulente Verfasser von
Liebesbriefen nicht allein war, sondern begleitet von
seinem hageren Bruder Samir, dem es oblag, das Gehörte
in treffende Worte zu fassen, mit rechtem Fluß und
gehöriger Dramatik, denn das war nicht die Spezialität des
Dicken. Ohne den Haqawati wäre selbst bei einer
Galgenszene sehnsuchtsvolles Gestöhne aufgestiegen, und
die Henker hätten sich in leidenschaftlichen Schwüren
verzehrt. Bei diesem Gedanken mußte Kazar Al-Mansur
lächeln. »Von dieser Maßnahme zu unserer Sicherheit
weißt nur du« – er legte dem Freund die Hand
vertrauensvoll auf die Schulter –, »und es ist wohl am
besten, du vergißt sogleich den doppelten Boden, und wir
gehen vor wie bisher!«
Rik nickte ergeben. »Das nun Folgende betrifft ohnehin
eher Timdal als mich!«
»Auch der Mohr braucht nichts davon zu wissen, der
weiß eh schon mehr als wir alle zusammen.«
aus der Niederschrift von Mahdia
Die Schwester des Inquisitors
Bericht des Mohren
Im nahen Forst von Farlot stolpern Rik und Oliver durchs
Unterholz. Ein Wald des Grauens! Immer wieder stoßen
sie auf erschlagene deutsche Söldner mit durchschnittenen
Kehlen, während sie die Tonsuren der wenigen sie
begleitenden Priester kreuzweise zerhackt finden. So
hätten die beiden fast ihren Capitán Karl Ripke nicht
erkannt, dessen Kopfhaut sichtbar das gleiche Schicksal
erlitten, doch sein harter Schädel hatte die rabiate
Markierung überstanden. Zu ihrem Erstaunen faselt auch
er jetzt von einem Sankt Georg, der ihm das Leben
gerettet habe. Ripke zeigt dabei nicht auf sein
gebrochenes, notdürftig geschientes Bein, sondern voller
Stolz auf die einstmals weißen, inzwischen blutgetränkten
Stoffstreifen, die als Notverband
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