Das Kreuz der Kinder
Mohren
Die Kutsche der Marie de Rochefort erreicht die
Champagne. Es war der Hofdame bis dahin nicht
gelungen, ihren beiden Reisegefährten mehr als
höflichfreundliche Belanglosigkeiten zu entlocken. Trotz
der Enge der Kutsche will sich keineswegs die Stimmung
einstellen, die Marie sich wünscht. Schließlich ist sie noch
keine Dreißig und gilt bei Hof als äußerst begehrte und
umworbene Schönheit. Das einzige Erglühen dieses Rik
van de Bovenkamp, ein rechter Büffel, entfacht erst der
Umstand, daß sie sich Reims nähern und er von weitem
die eingerüsteten filigranen Mauern des mächtigen
Kirchenschiffs erblickt. Doch als sie die Baustelle endlich
erreichen, liegt sie verlassen. Schon unterwegs waren
ihnen immer wieder Handwerksburschen entgegengekommen, Zimmerleute und Steinmetzen, Schmiedegesellen und einfache Handlanger, die offensichtlich nur
eines im Sinn hatten: nach Paris, zur Abtei von SaintDenis zu gelangen, wo sich etwas ereignet haben mußte,
das ihr Leben völlig verändern könnte. Bei der herben
Enttäuschung des Deutschen ist es der Hofdame jetzt ein
Leichtes, die beiden Freunde zu bewegen, ihr auf den
Landsitz der Rochefort zu folgen. Von dort könnten sie
dann ihre Reise nach Deutschland fortsetzen.
»Damit kämen wir zu ›Armin‹«, stichelte Daniel
ungerührt, »die frühere Irmgard von Styrum dürfte auch
eine der wenigen sein, die mit ihrem Vetter, Ali el-Hakim
Verbindung hielt« – das war ein versteckter Vorwurf
gegen Rik, sich um den treuen Gefährten später wenig
gekümmert zu haben, »und daher wird sie vielleicht
wissen, wohin der Arzt gezogen ist, samt seiner Frau –.«
»Welcher Frau?« entfuhr es Rik, der in seinen Gedanken
bei dem Ring war. Nicht einmal die Bedeutung der
Inschrift war ihm bekannt, mußte er sich eingestehen, und
er ärgerte sich, daß er ihn sich nicht genauer angeschaut
hatte.
»Ein gut gehütetes Geheimnis«, streute Timdal Pfeffer in
die vergleichsweise geringfügige Wunde Riks. »Jedenfalls
gibt es ein weibliches Wesen an Olivers Seite, so sehr
Euch das erstaunen mag.«
Rik erhob sich eingeschnappt. »Ich will sofort Kazar AlMansur bitten –.«
»Nur das nicht!« fuhr ihm Timdal jetzt respektlos
dazwischen. »Schickt mich zu ›Armin‹ nach Tunis«,
schlug er versöhnlich vor, »ich habe in Deutschland eh’
nichts verloren!«
Rik besann sich, ihm war auch nicht danach, schon
wegen des Ringes, sich jetzt auch noch den Fragen des
Emirs auszusetzen. »Ich möchte nicht –.« murmelte er
wenig überzeugend, »daß Ihr, lieber Timdal, wieder dem
Obereunuchen in die Hände fallt.«
»Der sieht mich so schnell nicht wieder!« trumpfte der
freche Mohr auf.
Rik mußte lachen und vergaß seinen Ärger. »Seid Ihr
bereit?« wandte er sich auffordernd an Daniel.
Der Mussa’ad strich das vor ihm liegende Pergament
glatt und tauchte den Federkiel ins Tintenfaß, da begann
das Rumoren wieder, schlimmer noch als zuvor: Es war
als würden wilde Tiere im Innern des Schrankes kämpfen,
ihre Körper gegen die Außenwand werfen, daß sie
erzitterte. Dazu ein Keuchen und Grunzen, Würgen und
Zischen, daß nun auch jeder gebannt auf den Kasten
starrte. Rik stellte sich die qualvolle Enge vor, die der
feiste Mustafa erdulden mußte – aber wer peinigte den
liebenswerten Schreiber von glutvoll werbenden Versen so
sehr, daß er sich derart tobend wand? Hatte der Emir etwa
seinen leiblichen Bruder, den hageren Haqawati
dazugesperrt, und die zwei machten sich das Leben zur
Hölle? Oder war der Moslah derjenige, der die beiden
armen Teufel quälte? Das Toben nahm zu, dann ein
pfeifendes Geräusch, ein spitzer, unterdrückter Schrei, ein
ohrenbetäubender Krach! Bersten, Splittern, eine
Staubwolke fuhr aus dem Gitterwerk – und tödliche Stille
trat ein. Entsetzt war Rik aufgesprungen, aber schon
stürmte der Emir in die Sala al Kutub, gefolgt von seinen
Wachen. Er starrte nicht erst lang auf den
Unglücksaufzug, sondern barsch verwies er alle des
Raumes, ohne jede Ausnahme.
Auf den runden Messingtischchen standen wie immer,
vom Kazar Al-Mansur bereitgestellte ziselierte Platten mit
Qa’ek attin, trockenes Feigengebäck, Muqassarat at-Tamr,
zimtbestreute Dattelröllchen und von Honigwasser
tropfende Halouiat al-Fustuq. Dazu Schälchen mit dicker,
süßer Mandelmilch. Doch keiner rührte die köstliche Halib
al-Loos an oder naschte von den Pistazienküchlein.
Der Schock saß allen noch in den Knochen. Auch
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